woerterbuch:genealogie
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- | ===== Die Genealogie auf Foucaults Bühne des Wissens ===== | ||
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- | In seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche und dessen Konzept der Genealogie unterscheidet Michel Foucault zwei Begriffe von Genealogie, einerseits Herkunft und andererseits Entstehung. Foucaults Perspektive bei der Diskussion der Genealogie ist vor allem motiviert durch die Abgrenzung gegenüber jeder Form von Ursprungserzählung, | ||
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- | Folgt man diesem Bild Foucaults, dann richtet sich die Untersuchung von Figuren des Wissens vor allem auf die Entstehung bestimmter Epistemologien, | ||
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- | Der Sprung auf die Bühne beschreibt dabei den Augenblick einer Zäsur oder eines Wechsels in der Genealogie, denn die Genealogie unterscheidet sich vom Kontinuum genau durch die Möglichkeit derartiger Unterbrechungen und Sprünge bzw. durch die Kombination bekannter, sichtbarer, bestehender mit untergründigen, | ||
- | Foucaults Unterscheidung von Herkunft und Entstehung und deren Zuordnung zu den Registern des Leibes einerseits und der historischen Bühne andererseits kommt einer wissenschaftshistorischen Aufteilung in die getrennten Verantwortungsbereiche von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft entgegen, wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert durchgesetzt hat: dort die Genealogie als Gegenstand von Vererbungslehren, | ||
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- | ===== Begriffsgeschichte und Etymologie von Genealogie ===== | ||
- | Die Verwicklung von Verfahren und Gegenstand der Genealogie wird bereits an der Begriffsgeschichte der Genealogie deutlich. Der Eintrag des Wortes in der Encyclopédie (1751-1780) bezeichnet dessen Aufnahme in das Register systematischen Wissens, und zwar nach einer langen Karriere der Genealogie als mythisches Narrativ, als mentale Struktur des Mittelalters (vgl. Howard Bloch 1986) und nach ihrem Aufstieg zu einer systematisch betriebenen Geschlechterkunde zum Zwecke der Herstellung genealogischer Handbücher seit dem 17. Jahrhundert. Der entsprechende Artikel im siebten Band der Encyclopédie zum Stichwort »Genealogie«, | ||
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- | Mit der Ableitung aus dem Griechischen (genos und logos) ist der Begriff nicht nur als Fremdwort markiert, sondern selbst als Teil einer sprachlichen Genealogie, bei der die Ableitung der Herkunft mit einem Wechsel der Sprachen verbunden ist. Genea-Logos, | ||
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- | In der Fortsetzung der zitierten Eintragung in der Encyclopédie werden dann die zeitgenössisch etablierten Bedeutungen von Genealogie referiert: Normalerweise werde darunter die Abfolge (suite) und Zählung der Vorfahren verstanden oder eine kurz gefaßte Geschichte der Eltern und Verwandten einer Person oder eines vornehmen Hauses, sei es in direkter Reihe oder in den Seitenlinien. Als Zweites folgt der Hinweis auf die Genealogie als Beweismittel für noblesse, das bedeutsam sei beim Eintritt in adlige oder militärische Ordnungen, und für Erbschaftsprozesse. Außerdem sei die Genealogie von extremer Wichtigkeit für die Geschichte, um Personen gleichen Namens, um liaisons von Verwandtschaft und damit Erbschaftsfolgen und Rechte unterscheiden zu können. In begriffsgeschichtlicher Hinsicht präsentiert der Artikel die Bedeutung des Begriffs am Vorabend der Französischen Revolution als Summe des genealogischen Wissens im Anden Régime. In ihm wird die Koppelung der Genealogie an die Ah¬nentafeln des Adels fortgeschrieben, | ||
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- | Diese Koppelung von Genealogie und Ahnenforschung des Adels bedeutet nun nicht, daß die Frage nach Herkunft oder Abstammung mit der bürgerlichen Epoche verschwindet, | ||
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- | ===== Die Genealogie als figura - zwischen Mythos, Philosophie und Sprache (z.B. Kant) ===== | ||
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- | Doch zurück zum Genealogie-Artikel der Encyclopédie, | ||
- | Für die verbreitetsten Darstellungstypen der Genealogie - die Stammtafeln, | ||
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- | Dieser Befund wird durch die These Klaus Heinrichs zur Funktion der Genealogie in Mythos und Philosophie gestützt, daß die Genealogie eine ursprungsmythische Geisteslage befördere. Diese reicht, wie er argumentiert, | ||
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- | Auch Kants Kritik der reinen Vernunft (1781) kommt ohne genealogische Figuren nicht aus. Deren Status wechselt zwischen Metapher und Vergleich bzw. zwischen absoluter Metapher und Gleichnis. So spricht Kant im Abschnitt »Von den reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien«, | ||
- | Mittelweg zurückgewiesen wird, kommt dann der Gegenbegriff zur Epigenesis, kommt die [[Präformation]] als Vergleich zum Zuge. So wird ein möglicher Mittelweg von Kant ins folgende Bild gebracht, | ||
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- | »daß sie weder selbstgedachte erste Prinzipien a priori unserer Erkenntnis, noch auch aus der Erfahrung geschöpft, sondern subjektive, uns mit unserer Existenz zugleich eingepflanzte Anlagen zum Denken wären, die von unserm Urheber so eingerichtet worden, daß ihr Gebrauch mit den Gesetzen der Natur, an welchen die Erfahrung fortläuft, genau stimmte (eine Art von Präformationssystem der reinen Vernunft)«. ((S. 158)) | ||
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- | Eine Untersuchung der Rhetorik von Kants Erkenntnistheorie der philosophischen Deduktion zeigt also, daß die Verschiebung vom tradierten Bild des Stammbaums zur zeitgenössischen wissenschaftlichen Terminologie mit einer Transformation von der absoluten Metapher zur übertragenen, | ||
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- | So werden nicht zuletzt auch diskursive und rhetorische Strukturen als Baum dargestellt. Eine zur Figur der Ableitung in der Deduk¬tion genau umgekehrte Figur betrifft z.B. die Verzweigung von Entscheidungen, | ||
- | Wurde die Etymologie als sprachgeschichtliche Ableitung immer schon gern im Schema des Baums repräsentiert, | ||
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woerterbuch/genealogie.1216037070.txt.gz · Zuletzt geändert: 2015/12/15 14:44 (Externe Bearbeitung)