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begriffe:reflex

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 Als Sergej Tschachotin in Russland weilte, schien jedenfalls keine solche Grenze zu existieren: Er war umgeben von Physiologen, die in ihren Laboren Künstler und Filmemacher mithilfe von Apparaten ausbildeten und dabei den menschlichen Organismus als Reflex-Apparat projizierten. Als Tschachotin mit seinem Reflexwissen in Deutschland aktiv wurde, beschäftigten sich parallel zahlreiche Künstler (nicht nur in Russland, auch am Deutschen Bauhaus) mit der Einrichtung einer auf die Reflexe abzielenden Ästhetik, künstlerische Medien wurden zu Medien wissenschaftlicher Praktiken, aus wissenschaftlichen Praktiken wurden Techniken, indem sie im gesellschaftlichen Raum wiederholt und gezielt Anwendung fanden – ganz gleich ob zu wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken. Als Sergej Tschachotin in Russland weilte, schien jedenfalls keine solche Grenze zu existieren: Er war umgeben von Physiologen, die in ihren Laboren Künstler und Filmemacher mithilfe von Apparaten ausbildeten und dabei den menschlichen Organismus als Reflex-Apparat projizierten. Als Tschachotin mit seinem Reflexwissen in Deutschland aktiv wurde, beschäftigten sich parallel zahlreiche Künstler (nicht nur in Russland, auch am Deutschen Bauhaus) mit der Einrichtung einer auf die Reflexe abzielenden Ästhetik, künstlerische Medien wurden zu Medien wissenschaftlicher Praktiken, aus wissenschaftlichen Praktiken wurden Techniken, indem sie im gesellschaftlichen Raum wiederholt und gezielt Anwendung fanden – ganz gleich ob zu wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken.
  
-Warum dies so ist, diese Frage muss noch offen bleiben für zukünftige Untersuchungen. Der Mediziner François Jacob hat hierzu die Überlegung formuliert, die Experimentalwissenschaften stimmten mit den Künsten vor allem darin überein, dass sie eine „Werkstatt des Möglichen“ darstellten.((François Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 164.)) Dies äußere sich beispielsweise in der „Ausrichtung ihrer Gedanken“ und in der „Art der verwendeten Bilder.“ Zugleich aber relativiert Jacob den Vergleich: „[…] solche Entsprechungen sind nicht so einfach zu analysieren.“((François Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 174.)) Sie erscheinen bevorzugt nach Revolutionen und führen zu einer „Verschiebung des Möglichen […].“((Francois Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 175.))+Warum dies so ist, diese Frage muss noch offen bleiben für zukünftige Untersuchungen. Der Mediziner François Jacob hat hierzu die Überlegung formuliert, die Experimentalwissenschaften stimmten mit den Künsten vor allem darin überein, dass sie eine „Werkstatt des Möglichen“ darstellten.((François Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 164.)) Dies äußere sich beispielsweise in der „Ausrichtung ihrer Gedanken“ und in der „Art der verwendeten Bilder.“ Zugleich aber relativiert Jacob den Vergleich: „[…] solche Entsprechungen sind nicht so einfach zu analysieren.“((François Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 174.)) Sie erscheinen bevorzugt nach Revolutionen und führen zu einer „Verschiebung des Möglichen […].“((François Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 175.))
  
 Sergej Tschachotin hat versucht, die Möglichkeiten, die die Russische Revolution in Gang gesetzt hat, in Deutschland politisch zu nutzen, was kurz nach seinem erfolgreichen Coup in Hessen mit Hausdurchsuchungen, der Entlassung vom KWI und dem Pariser Exil endete. 1939 erschien sein letztes Buch mit dem Titel „Die Vergewaltigung der Massen“ auf französisch und englisch. Hier resignierte er im Vorwort: Es ist „zu spät, diejenigen, die über menschliche Schicksale entscheiden können, über die folgenden Gesetze und neuen Fakten aufzuklären, die hier dargelegt werden. Das Irreparable ist geschehen: Wir sind im Krieg.“ In der Sowjetunion wurden seine Schriften verboten, da er den Bolschewiken als Verräter galt, der ihre Propagandamethoden in der kapitalistischen Welt publik machte. Während Tschachotin seinen Widersachern in Deutschland als das „Auge Moskaus“ galt, hatte er in Russland den Spitznamen der „Rote Goebbels“. Widersprüchlicher konnten Fehleinschätzungen kaum sein. Sergej Tschachotin hat versucht, die Möglichkeiten, die die Russische Revolution in Gang gesetzt hat, in Deutschland politisch zu nutzen, was kurz nach seinem erfolgreichen Coup in Hessen mit Hausdurchsuchungen, der Entlassung vom KWI und dem Pariser Exil endete. 1939 erschien sein letztes Buch mit dem Titel „Die Vergewaltigung der Massen“ auf französisch und englisch. Hier resignierte er im Vorwort: Es ist „zu spät, diejenigen, die über menschliche Schicksale entscheiden können, über die folgenden Gesetze und neuen Fakten aufzuklären, die hier dargelegt werden. Das Irreparable ist geschehen: Wir sind im Krieg.“ In der Sowjetunion wurden seine Schriften verboten, da er den Bolschewiken als Verräter galt, der ihre Propagandamethoden in der kapitalistischen Welt publik machte. Während Tschachotin seinen Widersachern in Deutschland als das „Auge Moskaus“ galt, hatte er in Russland den Spitznamen der „Rote Goebbels“. Widersprüchlicher konnten Fehleinschätzungen kaum sein.
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   * Kallendorf, C.: (Art.) Anaklasis, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Tübingen, 1992. Bd. 1, Sp. 482-485.   * Kallendorf, C.: (Art.) Anaklasis, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Tübingen, 1992. Bd. 1, Sp. 482-485.
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 +  * Konorski, J.: Conditioned Reflexes and Neuron Organization, 1948.
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 +  * Pawlow, I.P.: Der bedingte Reflex, 1936. In: Pickenhain, L. (Hg.). I.P. Pawlow. Sämtliche Werke, Bd. III/2. Akademie Verlag, Berlin, 1953, S. 532-549.
  
   * Scheerer, E.: (Art.) Reflex/Reflexbewegung, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 8, Basel, 1992, Sp. 388-396. [[redaktion:reflex|Inhaltsangabe]]       * Scheerer, E.: (Art.) Reflex/Reflexbewegung, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 8, Basel, 1992, Sp. 388-396. [[redaktion:reflex|Inhaltsangabe]]    
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   * Boyer, Carl B.: Aristotelian References to the Law of Reflection. In: Isis 36, 1946, S. 92-95.   * Boyer, Carl B.: Aristotelian References to the Law of Reflection. In: Isis 36, 1946, S. 92-95.
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 +  * Clower, W.T.: Early contributions to the reflex chain hypothesis. In: Journal of the History of the Neurosciences 7, 1998, S. 32-42.
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 +  * Dewey, J.: The reflex arc concept in psychology. In: Psychological Review 3, 1896, S. 357-370.
  
   * Düsing, Klaus: Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena. In: Hegel-Studien 5, 1969, S. 27-34.   * Düsing, Klaus: Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena. In: Hegel-Studien 5, 1969, S. 27-34.
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   * Risos, Antonios: Der Reflex. Sprachkritische Bemerkungen zur Geschichte der Unterteilung der Bewegungsvorgänge in Willkürliche und Unwillkürliche. In: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 32, 1989, S. 170-180.   * Risos, Antonios: Der Reflex. Sprachkritische Bemerkungen zur Geschichte der Unterteilung der Bewegungsvorgänge in Willkürliche und Unwillkürliche. In: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 32, 1989, S. 170-180.
  
 +  * Vöhringer, M.: Reflex. Begriff und Experiment. In: Müller, E. und F. Schmieder (Hg.). Begriffsgeschichte der Naturwissenschaften. Zur historischen und kulturellen Dimension naturwissenschaftlicher Konzepte, 2008, S. 203-212.
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 +  * Wübben, Y.: Kontinuität und Kontamination. Georges Canguilhems Begriffsgeschichte des Reflexes. In: Müller, E. und F. Schmieder (Hg.). Begriffsgeschichte der Naturwissenschaften. Zur historischen und kulturellen Dimension naturwissenschaftlicher Konzepte, 2008, S. 175-202.
  
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begriffe/reflex.txt · Zuletzt geändert: 2017/11/16 14:59 von claus