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begriffe:reflex

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reflex [2013/05/15 10:46] – [5. Schluss] heynereflex [2013/05/15 10:54] – [B. Sekundärmaterial] heyne
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 Als Sergej Tschachotin in Russland weilte, schien jedenfalls keine solche Grenze zu existieren: Er war umgeben von Physiologen, die in ihren Laboren Künstler und Filmemacher mithilfe von Apparaten ausbildeten und dabei den menschlichen Organismus als Reflex-Apparat projizierten. Als Tschachotin mit seinem Reflexwissen in Deutschland aktiv wurde, beschäftigten sich parallel zahlreiche Künstler (nicht nur in Russland, auch am Deutschen Bauhaus) mit der Einrichtung einer auf die Reflexe abzielenden Ästhetik, künstlerische Medien wurden zu Medien wissenschaftlicher Praktiken, aus wissenschaftlichen Praktiken wurden Techniken, indem sie im gesellschaftlichen Raum wiederholt und gezielt Anwendung fanden – ganz gleich ob zu wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken. Als Sergej Tschachotin in Russland weilte, schien jedenfalls keine solche Grenze zu existieren: Er war umgeben von Physiologen, die in ihren Laboren Künstler und Filmemacher mithilfe von Apparaten ausbildeten und dabei den menschlichen Organismus als Reflex-Apparat projizierten. Als Tschachotin mit seinem Reflexwissen in Deutschland aktiv wurde, beschäftigten sich parallel zahlreiche Künstler (nicht nur in Russland, auch am Deutschen Bauhaus) mit der Einrichtung einer auf die Reflexe abzielenden Ästhetik, künstlerische Medien wurden zu Medien wissenschaftlicher Praktiken, aus wissenschaftlichen Praktiken wurden Techniken, indem sie im gesellschaftlichen Raum wiederholt und gezielt Anwendung fanden – ganz gleich ob zu wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken.
  
-Warum dies so ist, diese Frage muss noch offen bleiben für zukünftige Untersuchungen. Der Mediziner François Jacob hat hierzu die Überlegung formuliert, die Experimentalwissenschaften stimmten mit den Künsten vor allem darin überein, dass sie eine „Werkstatt des Möglichen“ darstellten.((Francois Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 164.)) Dies äußere sich beispielsweise in der „Ausrichtung ihrer Gedanken“ und in der „Art der verwendeten Bilder.“ Zugleich aber relativiert Jacob den Vergleich: „[…] solche Entsprechungen sind nicht so einfach zu analysieren.“((Francois Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 174.)) Sie erscheinen bevorzugt nach Revolutionen und führen zu einer „Verschiebung des Möglichen […].“((Francois Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 175.))+Warum dies so ist, diese Frage muss noch offen bleiben für zukünftige Untersuchungen. Der Mediziner François Jacob hat hierzu die Überlegung formuliert, die Experimentalwissenschaften stimmten mit den Künsten vor allem darin überein, dass sie eine „Werkstatt des Möglichen“ darstellten.((François Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 164.)) Dies äußere sich beispielsweise in der „Ausrichtung ihrer Gedanken“ und in der „Art der verwendeten Bilder.“ Zugleich aber relativiert Jacob den Vergleich: „[…] solche Entsprechungen sind nicht so einfach zu analysieren.“((François Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 174.)) Sie erscheinen bevorzugt nach Revolutionen und führen zu einer „Verschiebung des Möglichen […].“((Francois Jacob: Die Maus, die Fliege und der Mensch, München 2000, S. 175.))
  
 Sergej Tschachotin hat versucht, die Möglichkeiten, die die Russische Revolution in Gang gesetzt hat, in Deutschland politisch zu nutzen, was kurz nach seinem erfolgreichen Coup in Hessen mit Hausdurchsuchungen, der Entlassung vom KWI und dem Pariser Exil endete. 1939 erschien sein letztes Buch mit dem Titel „Die Vergewaltigung der Massen“ auf französisch und englisch. Hier resignierte er im Vorwort: Es ist „zu spät, diejenigen, die über menschliche Schicksale entscheiden können, über die folgenden Gesetze und neuen Fakten aufzuklären, die hier dargelegt werden. Das Irreparable ist geschehen: Wir sind im Krieg.“ In der Sowjetunion wurden seine Schriften verboten, da er den Bolschewiken als Verräter galt, der ihre Propagandamethoden in der kapitalistischen Welt publik machte. Während Tschachotin seinen Widersachern in Deutschland als das „Auge Moskaus“ galt, hatte er in Russland den Spitznamen der „Rote Goebbels“. Widersprüchlicher konnten Fehleinschätzungen kaum sein. Sergej Tschachotin hat versucht, die Möglichkeiten, die die Russische Revolution in Gang gesetzt hat, in Deutschland politisch zu nutzen, was kurz nach seinem erfolgreichen Coup in Hessen mit Hausdurchsuchungen, der Entlassung vom KWI und dem Pariser Exil endete. 1939 erschien sein letztes Buch mit dem Titel „Die Vergewaltigung der Massen“ auf französisch und englisch. Hier resignierte er im Vorwort: Es ist „zu spät, diejenigen, die über menschliche Schicksale entscheiden können, über die folgenden Gesetze und neuen Fakten aufzuklären, die hier dargelegt werden. Das Irreparable ist geschehen: Wir sind im Krieg.“ In der Sowjetunion wurden seine Schriften verboten, da er den Bolschewiken als Verräter galt, der ihre Propagandamethoden in der kapitalistischen Welt publik machte. Während Tschachotin seinen Widersachern in Deutschland als das „Auge Moskaus“ galt, hatte er in Russland den Spitznamen der „Rote Goebbels“. Widersprüchlicher konnten Fehleinschätzungen kaum sein.
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 Abb. 17: und schließlich taucht der rote Pfeil wieder im aktuellen Logo der Linken Partei auf. Abb. 17: und schließlich taucht der rote Pfeil wieder im aktuellen Logo der Linken Partei auf.
  
-Welche Praktiken solche Bilder entstehen lassen, die zwischen politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Wissensfeldern auftauchen und welche Rolle sie für unsere Wahrnehmung spielen, mit dieser offenen Frage möchte ich enden. Vielen Dank+Welche Praktiken solche Bilder entstehen lassen, die zwischen politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Wissensfeldern auftauchen und welche Rolle sie für unsere Wahrnehmung spielen, mit dieser offenen Frage möchte ich enden. Vielen Dank!
  
 [[http://library.fes.de/cgi-bin/somo_mktiff.pl?year=1932&pdfs=1932_0425x1932_0426x1932_0427x1932_0428x1932_0429x1932_0430x1932_0431&verz=1932/1932-05-09|Sergej Tschachotin: Die Technik der politischen Propaganda - Volltext]] [[http://library.fes.de/cgi-bin/somo_mktiff.pl?year=1932&pdfs=1932_0425x1932_0426x1932_0427x1932_0428x1932_0429x1932_0430x1932_0431&verz=1932/1932-05-09|Sergej Tschachotin: Die Technik der politischen Propaganda - Volltext]]
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   * Kallendorf, C.: (Art.) Anaklasis, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Tübingen, 1992. Bd. 1, Sp. 482-485.   * Kallendorf, C.: (Art.) Anaklasis, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Tübingen, 1992. Bd. 1, Sp. 482-485.
  
-  * Scheerer, E.: (Art.) Reflex/Reflexbewegung, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 8, Basel, 1992, Sp. 388 - 396. +  * Scheerer, E.: (Art.) Reflex/Reflexbewegung, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 8, Basel, 1992, Sp. 388 - 396. [[redaktion:reflex|Inhaltsangabe]]    
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-|**Inhalt**Medizin- und psychologiegeschichtlicher Artikel beginnend mit der Vorgeschichte des Begriffes in der Antike (Aristoteles/ Galen), in der der Begriff nicht bekannt, der Unterschied zwischen willkürlicher und unwillkürlicher Bewegung jedoch bereits erkannt und beschrieben ist. Nach Galen entspringt die willkürliche Bewegung dem Gehirn und wird den Muskeln durch den im Nervensystem verteilten spiritus animalis vermittelt; die unwillkürliche, 'natürliche Bewegung' entsteht im Herzen und wird über das in den Arterien verteilte 'vitale Pneuma' vermittelt. Diese Unterscheidung lässt sich bis weit in die Neuzeit hinein nachweisen.\\ Der Reflexbegriff bildet sich im 17. und 18. Jhd. im Zuge der mechanistischen Physiologie (Descartes) heraus. Das Wortfeld des Reflexbegriffs hingegen stammt aus der Optik, weshalb seine Übertragung in die Physiologie durch eine 'Feuer-' bzw. 'Licht-' Konzeption der Tätigkeit des Nervensystems motiviert sein muss. Nach Canguilhem ist Th. Willis der eigentliche Schöpfer des physiologsichen Reflexbegriffs. Er gibt eine, zwar metaphorische Beschreibung von willkürlicher und unwillkürlicher Bewegung, verlagert aber ihren Ursprung konsequent ins Gehirn und bricht so mit Galen. Im 18. Jhd. werden experimentelle Untersuchungen zum Reflex angestellt. Die Bewertung der Befunde richtet sich aber weiter an der Theorie der Nervenfluida aus, es besteht keine genaue Kenntnis des anatomischen Substrats des Reflexes.\\ M. Hall formuliert 1833 die Gesetze der Reflexfunktion, die in Deutschland zunächst wenig Anklang finden. Die rein mechanistische Betrachtung des Reflexes setzt sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jhds. durch. Gegen Ende des 19. Jhs. ist die Neurophysiologie dann wesentlich zur Reflexphysiologie geworden.\\ Die Entwicklung läuft in der Psychologie parallel zur Entwicklung der eigentlichen Reflexphysiologie. Zunächst dominiert hier aber der Begriff des Automatismus. Dann wird die Willkürhandlung in der Psychologie des 19. Jhs. konsequent aus dem Reflex heraus erklärt. Erst später verlagert sich die Reflexbewegung auf eine 'unbewusste Hirntätigkeit'. Wesentlich werden die Erkenntnisse der Verhaltensbiologie (Pawlow). In neueren behaviorisatischen Ansätzen hat der Reflexbegriff keine Bedeutung mehr. Abschließend werden neuere Standpunkte, wie der Abschied von der Reflexphysiologie und der kybernetische Ansatz des Refferenzprinzips erörtert.\\ Jüngster Literaturhinweis 1989.    +
  
   * Smith, C. R. u. Kalivoda, G.: (Art.) Diaphora, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Tübingen, 1994. Bd. 2, Sp. 621-623.   * Smith, C. R. u. Kalivoda, G.: (Art.) Diaphora, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding. Tübingen, 1994. Bd. 2, Sp. 621-623.
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begriffe/reflex.txt · Zuletzt geändert: 2017/11/16 14:59 von claus