begriffe:generation
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generation [2013/04/20 12:58] – [Generation] heyne | begriffe:generation [2018/10/24 21:38] – [B. Sekundärliteratur] mueller | ||
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====== Generation ====== | ====== Generation ====== | ||
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- | Von Sigrid Weigel | ||
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^ lat. | generatio | ^ lat. | generatio | ||
^ franz. | ^ franz. | ||
- | ^ Wortfeld| Altersgruppen, | + | ^ Wortfeld| Altersgruppen, |
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- | ===== 1. Die vergessene Geschichte des Generationskonzepts ===== | ||
- | Die Generation hat als Begriff sichtlich Konjunktur und ist als Thema populärer Publikationen bestsellerverdächtig. In den letzten Jahren sind Feuilleton und Zeitgeistpublikationen zu einem reichen Betätigungsfeld für die Porträts und Geschichten immer neuer Generationen und für den Einfallsreichtum in der Erfindung neuer Generationsnamen geworden. Für längere Zeit hatte es so ausgesehen, als sei der Begriff eher in die Bereiche von Technik und Werbung hinübergewandert, | ||
- | Von und über Generationen wird aber nicht nur erzählt, Generationen werden auch wieder gezählt. Dieses Narrativ hat sich nicht nur in der Geschichtsschreibung nach 1945, in der Nachgeschichte von Zweitem Weltkrieg und Shoah durchgesetzt [S. lOlff.], sondern spielt auch eine wichtige Rolle im Zusammenhang von Migrationen, | + | ===== Material ===== |
- | ===== 2. Das kurze Gedächtnis des Generationsdiskurses - zur doppelten Semantik des Begriffs ===== | + | ==== A. Primärliteratur |
- | Während mit der Benennung von altersspezifischen Gruppen als »Generation Golf« oder »Generation arbeitslos« soziale Einheiten gebildet werden, denen oft eine identitätsstiftende Bedeutung zukommt, aktivieren Erzählungen entlang von Generationen die genealogische Dimension des Begriffs: die Familie, Nation oder Gattung wird aus der Abfolge von Generationen generiert. Damit ist genau jene doppelte Semantik | + | Zum Artikel |
- | Im älteren, heute weitgehend vergessenen Wortgebrauch bezeichnet Generation auch die Schöpfung, Entstehung oder (Er-)Zeugung - lat. generatio, gr. genesis - eine Bedeutung, die in den biowissenschaftlichen Begriff von [[zeugung|Zeugung]] oder Entstehung eines [[organismus|Organismus]] eingegangen ist. Etymologisch ist Generation aus dem Wortfeld von gr. genos ([[gattung|Gattung]] oder [[geschlecht|Geschlecht]]) abgeleitet, das auch als Menschenart und -alter übersetzt werden kann. Begründet in anthropologischen Phänomenen wie Alterung, Sterblichkeit und sexueller Reproduktion, | + | |
- | In der gegenwärtigen Verwendung des Begriffs dominiert allerdings eine Bedeutung, die sich weniger auf die genealogische, | + | |
- | Der Begriff läßt sich tatsächlich nicht definieren, aufgrund seiner doppelten Bedeutungsperspektive von Diachronie und Synchronie schon gar nicht eindeutig. Insofern ist die Einführung einer historischen Perspektive hilfreich, um die Problematik und methodische Widersprüchlichkeit in der gegenwärtigen Verwendung des Konzepts auf die Genese seiner unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen hin zu befragen. Im eklatanten Kontrast zur gegenwärtigen Konjunktur des Generationskonzepts ist allerdings seine Begriffs-, Diskurs- oder Wissenschaftsgeschichte weitgehend vergessen. Ebenso hat die Berücksichtigung des Begriffs im Register lexikalischen Wissens erst rudimentäre Formen angenommen. | + | |**2001**|Anglizismen-Wörterbuch. |
- | ===== 3. Das heroische Generationsmodell der Moderne - Familienroman der Grande Nation (Nora) ===== | + | ==== B. Sekundärliteratur |
- | Die Generation als Kategorie zur Periodisierung der Zeitgeschichte sei heute nur noch eine symbolische Zeiteinheit; | + | === Begriffsgeschichtliche Arbeiten === |
- | Die Logik der von Nora erzählten Verfallsgeschichte einer Kategorie gründet dabei in der Szene eines gloriosen Ursprungs: »die Generation ist die Tochter der Demokratie und der Beschleunigung der Geschichte« (S. 508, Hvh. S.W.). Es geht in seinem Beitrag also um die Geschichte der Generationen als Epochenkonzept der Moderne und dessen Geburt aus den Ideen der Französischen Revolution, insbesondere denen von Gleichheit, Fortschritt und Jugend. Als Gründungstexte für diesen emphatischen Generationsbegriff nennt Nora Proklamationen aus dem Umfeld der Französischen Revolution, die sich gegen das Erbschaftsprinzip des Ancien Régime richteten und diesem ein Generationsrecht entgegenstellten, | + | |
- | In diesem historischen Kontext, in dem Generation mit Jugend und mit dem Entwurf einer Zukunft assoziiert wird, galt die Formel Generation = [[regeneration|Regeneration]]. Im Fahrwasser einer solchen Vorstellung erzählt Nora eine Geschichte Frankreichs im 19. und 20. Jahrhundert, | ||
- | Frankreich sei das gelobte Land des Generationsbegriffs, erklärbar durch eine gespaltene nationale Identität, von der eine besondere Affinität zur binären Spannung in der Symbolik einer alt-jung- oder Vater-Sohn-Opposition ausginge. Diese Affinität, die zunächst ein symbolisches Deutungsmuster nationaler Befindlichkeit betrifft, wird bei Nora aber zum Bild einer als einzigartig bewerteten Geschichte Frankreichs gesteigert, indem er die Tragik dieser nationalen Geschichte aus der Position Frankreichs als eines Kernlandes europäischer Identität ableitet, dessen Status im 20. Jahrhundert zu dem einer nur mehr mittleren Macht abgesunken sei. Die Verfallsgeschichte des Generationskonzepts ist bei Nora also eigentlich die Signatur einer nationalen Verfallsgeschichte bzw. der Kränkungsgeschichte der Grande Nation. Diese Erzählung mündet bei Nora in der These, daß der Generationsbegriff ein genuin französisches Konzept sei. Sein Text ist also ein signifikantes Beispiel dafür, daß Generationsdiskurse nicht selten einen nationalen Index mit sich führen. Zugleich wird deutlich, daß auch Nora mit Hilfe des Generationskonzepts einen Familienroman schreibt, den Familienroman einer tragischen Nation. | + | * Gumbrecht, Hans Ulrich: (Art.) Generation, in: Reallexikon |
- | In methodischer Hinsicht steht die Generation bei Nora am Schnittpunkt zweier Projekte, seines theoretischen Projekts, dem Entwurf | + | |
- | ===== 4. Die Generationseinheit - Soziologie als Geisteswissenschaft | + | * Riedel, M.: (Art.) Generation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter. Bd. 3, Basel/ |
- | Deutliche Merkmale einer nationalen Betrachtungsweise teilt Pierr Nora mit dem als Klassiker gehandelten Beitrag von Karl Mannheim; in seinem Falle ist es die Perspektive einer deutschen Befangenheit. Als Ausgangslage zum »Problem der Generation« entwirft Karl Mannheim in seinem Beitrag »Das Problem der Generation« (1928) nämlich eine Konstellation entgegengesetzter Fragestellungen, die er als nationalspezifische Opposition bewertet: dort ein positivistischer, | + | * Toepfer, Georg: (Art.) Generationswechsel, in: Historisches Wörterbuch |
- | Aufgrund solcher Kategorien wie »Innerzeitlichkeit« läßt sich Mannheims Modell offenbar ohne Schwierigkeiten in die ontische Sprache von Martin Heideggers Sein und Zeit übersetzen. So wird die Gleichzeitigkeit von Mannheim gerade nicht als soziales Faktum einer Jahrgangsgruppe näher spezifiziert, sondern als »innerlich nacherlebbare Zeit« bewertet, so daß die Idee einer »Generationsgleichzeitigkeit« mit Heideggers Begriffen von Geschick, Miteinander-Sein, | + | |
- | Aus seiner Kritik am positivistischen Ansatz, seiner Zurückweisung der »Intervalltheorie« (Rhythmik der Generationenabfolge) inklusive der Vorstellung einer unmittelbaren Auswirkung der »naturalen Sphäre« im Geistigen leitet Mannheim die Notwendigkeit einer Vermittlung durch das »soziale Geschehen« ab und setzt diese in eine Konstruktion um, in der dem sozialen Geschehen buchstäblich die Mittelstellung zwischen der naturalen und der geistigen Sphäre zukommt: als Ebene der »gesellschaftlich formierenden Kräfte«, die zwischen dem »[[vitalismus|Vitalen]]« (oder Biologischen) und dem »Geistigen« vermittelt. Damit führt er das Soziale als Medium der Verhandlungen zwischen Natur und Geist ein und schreibt der Soziologie zugleich eine Art Vermittlungsfunktion zu. | + | === Sonstige Literatur === |
- | Der Begriff der Generation | + | * (Art.) |
- | ===== 5. Zur Archäologie der Generation | + | * Bebnowski, David: |
- | Das Auftauchen des Wortes Generation im Deutschen ist ein Übersetzungsphänomen. Es begegnet einerseits in der Folge von gr. genesis ~ lat. generatio am Übergang von der lateinischen zur deutschen Wissenschaftssprache, und zwar zunächst in der Bedeutung von [[zeugung|Zeugung]]. Andererseits wird es verwendet, um jene Funktion oder Position zu bezeichnen, die die genealogische Konstitution des Gattungsbegriffs beschreibt, - so beispielsweise in Übersetzungen der griechischen Philosophie. In dem Buch seiner Metaphysik, das Aristoteles der Terminologie gewidmet hat, definiert er den Begriff der [[gattung|Gattung]], | + | * Bellin-Milleron, J.: L’idee de génération devant le Mythe et la Biologie. In: Archives Internationales d’Histoire |
- | »Von Gattung, Stamm, spricht man, wo sich kontinuierlich eine Generation von Wesen, die dieselbe Form haben, an die andere reiht. So sagt man: solange die menschliche Gattung besteht, und meint damit: solange sich eine Generation von Menschen an die andere reiht. Man gebraucht das Wort aber auch da, wo es einen ersten Urheber und eine gemeinsame Abstammung gibt.« ((Aristoteles 1909, S. 606)) | + | * Castellani, Carlo: La storia della generazione. Idee e teorie dal diciasettesimo al diciosettesimo secolo. Mailand, 1965. |
+ | * Rezension: Grmek, M.D., Revue de Synthèse 88, 1967, S. 92-93. | ||
- | Wird Generation hier für Aristoteles' | + | * Ceglia, F.P. de: Soul power: Georg Ernst Stahl and the debate on generation. In: Smith, J.E.H. (Hg.). The Problem of Animal |
- | Während die Gattung also eine Größe bezeichnet, die nach den Kriterien von Gleichheit/ | + | |
- | Man könnte auch sagen: Generation bezeichnet jene Zeugung, die der ersten (oder göttlichen) Entstehung folgt, d.h. die .Fortzeugung. Im Kontinuum von Ursprung und Aneinanderreihung betrifft die Generation also den Bestand der Gattung in der Dimension der Zeit. Aus dieser Bedeutung der Generation | + | |
- | In den Ursprungs- und Gründungsmythen der [[gattung|Gattung]] spielt diese Figur eine zentrale Rolle. Dabei unterscheiden sich die Erzählungen nicht nur in der Perspektive, | + | * Depew, D.: Incidentally final causation and spontaneous generation |
- | ===== Material ===== | + | * Erhart, Walter: Generationen – zum Gebrauch eines alten Begriffes für die jüngste Geschichte der Literaturwissenschaft. In: Zeitschrift für Literatur und Linguistik (LiLi) 30/120, 2000, S. 81-107. |
- | |**2001**| Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, hg. v. Broder Corstmann, 3 Bde., New York u. Berlin 2001, Bd. 2, S. 563: Generation | + | |
- | ===== Sekundärliteratur ===== | + | * Febvre, Lucien: Générations. In: Margherita Platania (Ed.): Les Mots de l’Histoire. Le vocabulaire Historique du Centre International de Synthèse. Neapel, 2000, S. 353-364. |
+ | |||
+ | * Febvre, Lucien: Générations. In: Bulletin du Centre International de Synthèse – Section de Synthèse historique 7, 1929, S. 36-43. (Projects d' | ||
- | === Begriffsgeschichtliche Arbeiten === | + | * Geus, A.: Der Generationswechsel. Die Geschichte eines biologischen Problems. In: Medizinhistorisches Journal 7, 1972, S. 159-173. |
- | * Gumbrecht, Hans Ulrich: (Art.) Generation, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. H. v. Klaus Weimar. Bd. I, A-G. Berlin, 1997, S. 697-699. | + | * Heiden, U. an der, Roth, G. und H. Schwegler: Principles of self-generation and self-maintenance. In: Acta Biotheoretica, 34, 1985, S. 125-138. |
- | * Riedel, M.: (Art.) Generation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg.v. J. Ritter. Bd. 3, Basel/Stuttgart, 1974, Sp. 274 - 277. | + | * Ulrike Jureit, Generation, Generationalität, |
- | * Toepfer, Georg: | + | * Kraft, Andreas u. Weißhaupt, Mark (Hg.): Generationen. Erfahrung - Erzählung - Identität, Konstanz |
- | ==== Sonstige Literatur ==== | + | * McLaughlin, P.: Spontaneous versus equivocal generation in early modern science. In: Annals of the History and Philosophy of Biology 10, 2005, S. 79-88. |
- | * (Art.) Generation, in: Benner, Dietrich; Jürgen Oelkers: Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Weinheim, 2004. | + | * Müller-Sievers, Helmut: Self-Generation. Biology, Philosophy, and Literature around 1800. Stanford University Press, 1997. |
- | * Erhart, Walter: Generationen – zum Gebrauch eines alten Begriffes für die jüngste Geschichte der Literaturwissenschaft. Zeitschrift für Literatur und Linguistik (LiLi) 30/120 (2000) | + | * Nash, L.L.: Concepts of existence. Greek origins of generational thought. In: Daedalus 107, 4, 1978, S. 1-21. |
- | * Febvre, Lucien: Générations. In: Margherita Platania (Ed.): Les Mots de l’Histoire. Le vocabulaire Historique du Centre International de Synthèse. Neapel, 2000. S. 353- 364 \\ Sowie: | + | * Park, Katharine: Secrets of Women. Gender, Generation, and the Origins of Human Dissection, Cambridge, MA, The MIT Press, 2006. |
- | Febvre Lucien: Générations. Bulletin du Centre International de Synthèse – Section de Synthèse historique 7 (1929) S. 36-43. (Projects d' | + | |
- | * Bellin-Milleron, J.: L’idee de génération devant le Mythe et la Biologie. Archives Internationales d’Histoire | + | * Parnes, Ohad; Ulrike Vedder und Stefan Willer: Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Franfurt am Main, 2008. |
+ | * Petra Gehring (Rez.) Ich bin von heute, Sie sind von gestern. Erfreulich respektlos: Eine Kulturgeschichte | ||
- | * Castellani, Carlo: La storia della generazione. Idee e teorie dal diciasettesimo al diciosettesimo secolo. Mailand, 1965. | + | * Parnes, Ohad: »Es ist nicht das Individuum, sondern es ist die Generation, welche sich metamorphisiert«. Generationen als biologische und soziologische Einheiten in der Epistemologie der Vererbung im 19. Jahrhundert. In: Weigel, S., Parnes, O., Vedder, U. und S. Willer |
- | * Rezension: Grmek, M.D., Revue de Synthèse 88 (1967) S. 92-93. | + | |
- | * Ohad Parnes, | + | * Parnes, |
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- | * Petra Gehring | + | |
* Rostand. J.: La genèse de la vie. Histoire des idées sur la génération spontanée. Paris, 1943. | * Rostand. J.: La genèse de la vie. Histoire des idées sur la génération spontanée. Paris, 1943. | ||
- | * Rezension: Robert Bouvier, Revue d’Histoire des Sciences 2, (1948/49) S. 370-372. | + | * Rezension: Robert Bouvier, Revue d’Histoire des Sciences 2, 1948/49, S. 370-372. |
+ | * Wilkins, J.S.: What is a species? Essences and generation. In: Theory in Biosciences 129, 2010, S. 141-148. | ||
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+ | * Witt, E.: Form – a matter of generation: the relation of generation, form, and function in the epigenetic theory of Caspar F. Wolff. In: Science in Context 21, 2008, S. 649-664. | ||
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