begriffe:entropie
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entropie [2013/03/14 16:42] – [›Negative Entropie‹ als Übergangsmetapher - zwischen Organismus und Automat (Schrödinger, Wiener)] heyne | entropie [2013/12/06 13:55] – [B. Sekundärliteratur] heyne | ||
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- | ==== ›Negative Entropie‹ als Übergangsmetapher - zwischen Organismus und Automat (Schrödinger, | + | ===== Material ===== |
- | Von [[verfasser: | + | ==== A. Primärliteratur ==== |
+ | |**1865**|Clausius, | ||
+ | |**1886**|Boltzmann, | ||
+ | |**1929**|Szilárd, | ||
- | Vor allem in der Phase der Etablierung von Informationstheorie und Kybernetik unterhält der Begriff der [[information|Information]] eine schillernde Vieldeutigkeit, | + | ==== B. Sekundärliteratur ==== |
- | Dadurch daß Lily Kay ihre Historiographie des genetischen Codes Who Wrote the Book of Life (2000) auf die Connections zwischen mathematischer Informationstheorie und Genetik und die Frage einer angemessenen Applikation des Informationsbegriffs in der Biologie hin zugeschnitten hat, unterliegt ihre Darstellung einer fortschrittsteleologischen Tendenz. Da erst mit dem Beginn des Informationsdiskurses, | ||
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- | Folglich werden die Konzepte dieser vorkybernetischen Zeit entweder als »Protocodes« bezeichnet oder aber extrem marginalisiert, | ||
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- | »From a diachronic view, Schrödinger' | ||
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- | Nun ist aber gerade dieses Zurückreichen der Konstruktion des genetischen Codes in ältere Epistemologien interessant, | ||
- | Im Diskurs über die »Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine«, über die Vergleichbarkeit von [[organismus|Organismen]] und [[automat|Automaten]], | ||
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- | Gerade in Erwin Schrödingers Text What is Life? sind noch jene Probleme lesbar, die sich im Begriff genetischer Information verbergen. Sein Versuch, sich mit physikalischen Theorien der Frage nach dem Leben zu nähern, verwendet den Informationsbegriff gerade nicht - ›noch nichts wie es zumeist heißt, da sein Text gleichsam am Vorabend der mathematischen Informationstheorie formuliert wurde, nur wenige Jahre, bevor sich mit Wieners und C.E. Shannons Publikationen 1948 ein Diskurs der Kybernetik etablierte und auch Jahre, bevor John von Neumann in seiner General and Logical Tbeory of Automata (1951) die Funktionsweise lebender Organismen, vor allem des Nervensystems, | ||
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- | Schrödingers Bezugnahme auf die negative Entropie ebenso wie sein so folgenreicher Einfall, das Gen im Bild eines Miniaturcodes nach dem Vorbild des Morsecodes zu konzipieren, | ||
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- | In Schrödingers etliche Jahre früher unternommenem Versuch zu einem Brückenschlag zwischen Physik und Biologie wird die Einführung der negativen Entropie noch als »Kunstgriff« bezeichnet. Doch gelingt es ihm mit diesem Kunstgriff nicht, die zur Entropie umgekehrte Tendenz der Organismen - zunehmende Ordnung anstatt wachsender Unordnung bzw. Entropie -, die er in eine Gleichung für negative Entropie überträgt, | ||
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- | »Wie würden wir die wunderbare Fähigkeit eines lebenden Organismus, den Zerfall in das thermodynamische Gleichgewicht (Tod) zu verzögern, in der Ausdrucksweise der statistischen Theorie darstellen? [...] Wenn D ein Maß der Unordnung ist, so kann der reziproke Wert VD als direktes Maß der Ordnung betrachtet werden. Da der Logarithmus von | ||
- | VD minus Logarithmus D ist, können wird die Bolzmannsche Gleichung folgendermaßen schreiben: | ||
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- | - (Entropie) = k log (VD). Damit läßt sich der unbeholfene Ausdruck ›negative Entropie‹ durch einen besseren ersetzen: die Entropie ist in Verbindung mit dem negativen Vorzeichen selbst ein Ordnungsmaß. Der Kunstgriff, mittels dessen sich ein Organismus stationär auf einer ziemlich hohen Ordnungsstufe (einer ziemlich tiefen Entropiestufe) hält, besteht in Wirklichkeit aus einem fortwährenden ›Aufsaugen‹ von Ordnung aus seiner Umwelt.« ((Schrödinger 1987, S. 129, Hvh. S.W.)) | ||
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- | Da seine Bemerkungen über negative Entropie bei Kollegen auf Widerstand gestoßen seien, fügt er an, daß der Term auch durch den der »freien Energie« ersetzbar sei. Allerdings führt ihn das Experiment, die Gleichung für Entropie mit einem negativen Vorzeichen zu versehen, um eine Gleichung für die Ordnung von Organismen zu gewinnen, zu der Erkenntnis, daß die Struktur der lebenden Materie »sich nicht auf die gewöhnlichen physikalischen Gesetze zurückführen läßt.« ((Ebd. S. 133.)) Denn, so Schrödinger: | ||
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- | All diese von ihm reflektierten Schwierigkeiten scheinen dann in Kybernetik und Informationstheorie gelöst zu sein. So wird von Norbert Wiener negative Entropie kurz und bündig mit Information gleichgesetzt, | ||
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- | »Wenn eine Zelle sich in zwei teilt, oder wenn eines der Gene, das unser körperliches und geistiges Erbe trägt, bei der Vorbereitung zur Reduktionsteilung einer Keimzelle gespalten wird, ist dies eine Trennung von Materie, bedingt von der Kraft eines dem lebenden Gewebe innewohnenden Schemas, sich selber zu verdoppeln. Da dies so ist, gibt es keine fundamentale absolute Grenze zwischen den Übermittlungstypen, | ||
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- | Die einzige Barriere besteht in den dafür notwendigen Schritten, das Gewebe zunächst zu zerstören und dann wieder aufzubauen. | ||
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- | »Mit anderen Worten: Die Tatsache, daß wir das Schema eines Menschen nicht von einem Ort zu einem anderen telegrafieren können, liegt wahrscheinlich an technischen Schwierigkeiten und insbesondere an der Schwierigkeit, | ||
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- | Stößt in Wieners Gedankenexperiment die Übermittlung des Menschen wegen dessen leiblicher Konstitution an eine Grenze, so ist bemerkenswert, | ||
- | Seit der Etablierung der Kybernetik ist Wieners Satz, Information sei negative Entropie, als Begriff kanonisiert. Während bei Schrödinger die negative Entropie genau jene Stelle markiert, an der sich die Differenz zwischen der Errechenbarkeit der Materie | ||
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- | Insofern markiert der Begriff der Information wissenschaftsgeschichtlich genau jene Schwelle, an der die Heterogenität zweier Wissensregister als Spannung zwischen Zahl und Buchstabe sichtbar wird. Denn die »Information« des »genetischen Codes« wird in Buchstaben notiert. In dem Text Schrödingers, | ||
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- | »Nun denke ich, bedarf es nicht mehr vieler Worte um aufzuzeigen, | ||
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- | Um die Ordnungsgesetze dieses aperiodischen Kristalls, genannt Gen, begreifen zu können, entwickelt Schrödinger in demselben Vortrag die Idee eines Miniaturcodes, | ||
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- | Bereits durch die Plazierung seiner Studie zur Metapherngeschichte der Genetik in dem Buch Zur Lesbarkeit der Welt hat Hans Blumenberg die Wissenschaftsgeschichte des genetischen Codes in der Bedeutungsgeschichte vom Buch der Welt und der Natur verortet, aus deren Tradition die Rede vom Rätsel und der Verschlüsselung, | ||
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- | In der Genese der Modelle Genom und genetischer Code sind es gerade solche Terme wie [[botschaft|Botschaft]], | ||
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- | ===== Material ===== | ||
- | ====Primärquellen==== | ||
- | |**1865**|Rudolf Clausius, Abhandlung über die mechanische Wärmetheorie, | ||
- | |**1886**|Ludwig Boltzmann: Der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie [1886]. In: Ders.: Populäre Schriften, Leipzig 1905, S. 25-50.: Boltzmann nennt Clausius' | ||
- | |**1929**|Szilárd, | ||
- | ====Sekundärliteratur==== | ||
=== Begriffsgeschichtliche Arbeiten === | === Begriffsgeschichtliche Arbeiten === | ||
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* Ders.: Zur Bedeutung und Begriffsgeschichte der Entropie. In: Praxis der Naturwissenschaften - Physik, Themenheft " | * Ders.: Zur Bedeutung und Begriffsgeschichte der Entropie. In: Praxis der Naturwissenschaften - Physik, Themenheft " | ||
- | * Brush, Stephen G.: The Temperature of History. Phases of Science and Culture in the Nineteenth Century, New York 1978. | + | * Büchel, W.: Teleologie und Negentropie. In: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie, 13, 1983, S. 40-47. |
- | |Inhalt: Am Beispiel der Theorien über die Hauptsätze der Thermodynamik entwirft | + | * Brush, |
* Clark, Bruce: Energy Forms. Allegory and Science in the Era of Classical Thermodynamics, | * Clark, Bruce: Energy Forms. Allegory and Science in the Era of Classical Thermodynamics, | ||
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* Klein, Martin J.: Order, Organisation and Entropy. The British Journal for the Philosophy of Science IV, 1953, S. 158-160. [[http:// | * Klein, Martin J.: Order, Organisation and Entropy. The British Journal for the Philosophy of Science IV, 1953, S. 158-160. [[http:// | ||
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+ | * Kragh, Helge: Cosmology and the entropic creation argument. In: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences, 37/2 (2007), S. 369-382. | ||
* Kümmel, Albert: Möglichkeitsdenken. Navigation im fraktalen Raum. In: Weimarer Beiträgel, Bd. 41, S. 526-546 | * Kümmel, Albert: Möglichkeitsdenken. Navigation im fraktalen Raum. In: Weimarer Beiträgel, Bd. 41, S. 526-546 | ||
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* Smith, Crosbie: William Thomason and the Creation of Thermodynamics: | * Smith, Crosbie: William Thomason and the Creation of Thermodynamics: | ||
- | *Steller, Erwin: Computer und Kunst. Programmierte Gestade, Wurzeln und Tendenzen neuer Ästhetiken. Mannheim u.a., 1992. | + | * Steller, Erwin: Computer und Kunst. Programmierte Gestade, Wurzeln und Tendenzen neuer Ästhetiken. Mannheim u.a., 1992. |
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+ | * Wallace, D.: Gravity, Entropy, and Cosmology: in Search of Clarity. In: The British Journal for the Philosophy of Science, 61/3, 2010, S. 513-540. | ||
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+ | * Weizsäcker, | ||
*Wetzel, Michael; Herta Wolf; (Hg.): Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten. München, | *Wetzel, Michael; Herta Wolf; (Hg.): Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten. München, | ||
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begriffe/entropie.txt · Zuletzt geändert: 2017/11/16 14:41 von claus