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begriffe:mutation

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Mutation


lat. mutatio engl. mutation
franz. mutation Gegenbegriffe
WortfeldUmschwung, Wandlung, Genmutation, Genommutation

Disziplinäre Begriffe

Mutation (franz.:)

  • Politik: Gebraucht im Sinne von 'politischer Veränderungen'.
  • Genetik: Nach Buffon: Auftauchen einer Veränderung an einer Art. Später nach De Vries: Die Veränderung des Erbgutes eines Organismus.

Mutation:

  • Genetik: Die dauerhafte Veränderung des Erbgutes.
  • Grammatik: Veränderung des Anlautes eines Wortes in verschiedenen Sprachen.
  • Medizin: Stimmwechsel bzw. Stimmbruch.

Material

A. Primärmaterial

1739Zedler, Johann Heinrich: (Art.) Mutatio, in: Grosses vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 22, S. 802-803.
1774Sulzer, Johann George: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Leipzig, Bd. 2, S. 1092:
"Herr Hiller hat in einer vor kurzer Zeit herausgegebenen Anleitung zum musikalisch - richtigen Gesange von dieser sogenannten Damenisation Gebrauch gemacht; aber er nihmt wieder die Absicht des Erfinders derselben, die blos statt der gewöhnlichen Benennung der Töne eine leichtere und zum Singen bequemere Sylbeneinführung zum Grunde hatte, wovon da allezeit c, me allezeit d, ni allezeit e u.s.w. bezeichnen sollte, mit diesen Sylben Mutationen, nach Art der Aretinischen Solmisation vor, wodurch dem angehenden Sänger die Schwierigkeit, die Intervallen treffen zu lernen, doch gewiß vergrößert wird, weil seine Aufmerksamkeit von den Intervallen abgezogen und auf die Mutation der Sylben gerichtet, wenigstens dadurch getheilet wird.
/1093/ So lange keines dieser Hexachorde in der Melodie überschritten wurde, behielt jeder Ton seine ihm eigne Sylbe in der Solmisation: stieg oder fiel der Gesang aber über oder unter dem Umfang einer dieser Sexten, oder welches einerley ist, gieng die Melodie in ein anderes Hexachord über, so mußten die Sylben mutirt werden, damit das mi fa wieder an seinen Ort zu stehen käme. Daher entstanden Regeln, wie die Mutation der Sylben bey den Uebergängen der Hexachorde geschehen müsse. Dem ohngeachtet konnten bey der Mannichfaltigkeit der Fortschreitungen des Gesanges, die Sylben mi fa nicht allezeit bey einer kleinen Secundenfortschreitung ohne den Schüler zu verwirren, möglich gemacht werden; man bewilligte daher unter gewissen Einschränkungen noch die Sylben la fa zu der Fortschreitung in einen halben Ton. Durch diese Benennungen wurden dem Schüler, wenn er erst die Regeln der Mutation inne hatte, so wohl die Schwierigkeit, die halben Töne in den alten Tonarten zu treffen, als auch überhaupt alle Intervallen, in sofern sie in jedem Hexachord nach denselben Sylben gesungen wurden, erleichtert.
Als aber nach der Zeit durch die Einführung des chromatischen und enharmonischen zu dem diatonischen Geschlecht das System der Musik um vieles erweitert, und die alten diatonischen Tonarten um einen oder mehrere Töne höher oder tiefer transponirt werden konnten, wurden dadurch, daß die Sylben mit allen Mutationen mit jeder transponirten Tonart zugleich transponirt werden mußten, die Schwierigkeiten der Solmisation so sehr vergrößert, und die Nothwendigkeit der Octavengattungen so offenbar, daß ohngeachtet der eifrigen Solmisationsverfechter dennoch der meiste Theil der Tonkünstler davon abgieng, und entweder wie die Franzosen den sechs Sylben noch die siebente zusezten, oder wie die Holländer sieben neue Sylben erfanden, oder wie die Deutschen bey der natürlichen Benennung der Töne stehen blieben, und danach ohne Mutation solfeggirten."
1803Goethe: Regeln für Schauspieler, in: ders., Berliner Ausgabe, Bd. 17, S. 87:
"Die Passage, welche ich vortrage, zwingt mich durch ihre Komposition zwar, das forte oder piano, dolce oder furioso zu beobachten, dieses geschieht aber, ohne daß ich mich der Mutation bediene, welche das Instrument besitzt, sondern es ist bloß der Übergang der Seele in die Finger, welche durch ihr Nachgeben, stärkeres oder schwächeres Aufdrücken und Berühren der Tasten den Geist der Komposition in die Passage legen und dadurch die Empfindungen erregen, welche durch ihren Inhalt hervorgebracht werden können."
1904Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin, Bd. 1, S. 700:
"Mutation: Veränderung. DE VRIES nennt »Mutation« die sprunghafte Entwicklung der Arten. Vgl. Selection, Evolution."
1907Kirchner, Friedrich: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Fünfte Auflage, Leipzig, S. 378:
"Mutation (lat. mutatio = Veränderung) nennt de Vries (geb. 1848) die sprunghafte Entwicklung von Arten aus Arten ohne Übergangsformen. Er sieht darin im Gegensatz zu Darwin die normale Entwicklung. Seit Darwin (1809-1882) galt bisher die Ansicht, daß neue Arten nur ganz allmählich durch Häufung zahlreicher kleiner Abweichungen von den bestehenden Arten, welche in erster Linie durch die Umgebung der Individuen bedingt werden, entstehen. Auf Grund zahlreicher, umfassender und jahrelanger Züchtungsversuche mit Oenothera Lamarckiana (Nachtkerze) hat nun aber de Vries um 1900 die heute allgemein gültige Ansicht ausgesprochen, daß die Darwinsche Ansicht von der alleinigen Erstehung der Arten aus allmählicher Variation falsch sei, daß vielmehr neue Arten aus einer bestehenden auch ganz plötzlich entstehen und zwar aus Gründen, die noch nicht erkannt sind, die aber nicht in der Umgebung, sondern im Innern der Pflanze liegen. Für diese sprunghafte Entstehung der Arten hat er den Namen Mutation gewählt. Arten, die jahrelang völlig unverändert Nachkommen erzeugt haben, zeugen plötzlich Nachkommen mit völlig verschiedenen sie zu neuen Arten stempelnden Merkmalen; und zwar erzeugt ein und dieselbe Art nicht nur eine, sondern zahlreiche neue Arten, von denen jedoch nur wenige, die der Umgebung am besten angepaßt sind, neue Individuen zu erzeugen vermögen. Von diesen neu erzeugten fortpflanzungsfähigen Arten bleibt der größere Teil längere oder kürzere Zeit konstant, geht dann aber ein, während der kleinere Teil nach einer gewissen Zeit der Konstanz abermals in eine neue Mutationsperiode eintritt und demnach neue Arten erzeugt. Mit dem Nachweise, daß eine Mutation stattfindet, ist selbstverständlich nicht der Nachweis beseitigt, daß daneben allmähliche Änderungen stattfinden, und das Wort Jean Pauls: »Die physische Natur macht viele kleinere Schritte, um einen Sprung zu tun, und fängt dann wieder von vorne an; das Gesetz der Stetigkeit wird ewig vom Gesetze des Ab- und Aufsprungs beseelt«, klingt fast wie eine Vorahnung des wahren Naturverhältnisses (Jean Paul, Levana § 124). Für die Vorgänge der Mutation will neuerdings Jaekel den Namen Metakinese anwenden, indem er nicht nur Abänderungen, bei denen ein physiologischer Nutzen nicht vorhanden ist, sondern auch wesentliche, die Korrelation der Teile stark beeinflussende und daher physiologisch sehr wichtige Umformungen ins Auge faßt."
1911Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon. Fünfte, vollständig neubearbeitete Auflage, Bd. 2, S. 232:
"Mutatiōn (lat.), Veränderung, Wechsel, bes. der Stimmwechsel der Knaben beim Eintritt der Mannbarkeit. (S. auch Mutationstheorie)."/"Mutationstheorie, eine Abstammungslehre, die die Anschauung vertritt, daß die Umbildung von Arten durch Mutation, eine sprungweise aus innern Gründen entstehende Veränderung, erfolgte, in botan. Hinsicht durch Experimente namentlich von Hugo de Vries gestützt, der bes. das Verhalten der Bastardpflanzen (s.d.) näher untersuchte und so die Lehre von der Bastardierung zu einem besondern Zweig der Vererbungswissenschaften machte. – Vgl. de Vries (2 Bde., 1900-3)" /769/ "Der Übergang der hohen Kinder-S. in die tiefere des Erwachsenen (Stimmwechsel, Stimmbruch, Mutation) erfolgt während der Pubertät."
1923Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie, 2., vermehrte Auflage, Leipzig, Bd. 1, S. 82:
"De Vries hat außer prachtvollen Beobachtungen (an Pflanzen, weshalb die Zoologen mit ihrer etwas andern Sprache ihn nicht ganz verstehen) auch ein neues Wort zur Verfügung: nicht allmähliche Variation, sondern sprunghafte Mutation schafft die Arten; und die Mutationen haben die Tendenz, gute Arten zu züchten. Der Vorstoß, den de Vries gegen den dogmatisch gewordenen Darwinismus unternahm (nicht gegen Darwins Forschungsmethode), ist ernst zu nehmen. »Arten entstehen nicht durch den Kampf ums Dasein, sondern sie vergehen durch ihn.« Und durch Variationen, durch die Auslese werden höchstens Rassen gezüchtet, die immer wieder nach ihrer Stammart zurückzuschlagen trachten, nicht konstante Arten. Wieder hat Weismann ganz recht, wenn er der strengen Scheidung zwischen Variationen und Mutationen entgegenhält, daß diese begriffliche Distinktion für den Entdecker der neuen Tatsachen nützlich und notwendig gewesen sei, daß wir aber auch Summierungen von Anpassungen kennen. […] Die Frage aber, was sich seit der Herrschaft des Darwinismus an unserm Artbegriffe geändert habe, die Frage, warum uns die Arten trotz dem Glauben an ihr zufälliges Entstehen nach wie vor als etwas innerlich Bedingtes erscheinen, diese Frage der Weltanschauung wäre auch dann nicht gelöst, wenn zwischen der Variation von Darwin und der Mutation von de Vries bereits eine Entscheidung getroffen wäre. Der Unterschied dieser beiden Anschauungen läuft nur darauf hinaus, daß die Evolutionisten den Grundsatz aufgestellt haben: natura non facit saltus; daß de Vries (sicherlich mit Recht) diesen Grundsatz nicht durchaus zugeben will; die Evolution kam von der Geologie her, die endlich gelernt hatte, die biblische Katastrophenlehre zu korrigieren, aber doch nicht leugnen wird, daß es neben der allmählichen Änderung der Erdrinde auch Katastrophen gibt. Natura facit saltus."
1930Bilder-Lexikon Sexualwissenschaft, Wien/Leipzig, Bd. 3, S. 776:
"[…]von da ab vergrößert sich der männliche Kehlkopf mehr als der weibliche, die Stimme »bricht« und wird tiefer. Beim Weibe aber bleiben Kehlkopf und Stimme dem kindlichen Zustande näher. Für den Zusammenhang zwischen Stimme und Geschlechtsorganen zeugt auch die alte italienische Sitte der Kastration, die die Stimm-Mutation verhindern soll. D. h., der kastrierte Knabe behält seine Knabenstimme und bekommt nicht, wie der normale Knabe zur Zeit der Reifung eine tiefe Stimme."

B. Sekundärmaterial

Begriffsgeschichtliche Arbeiten

  • Toepfer, Georg: (Art.) Mutation, in: Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe, Stuttgart und Weimar 2009 ff. (im Druck)
  • Pons, Alain: (Art.) Mutazione, in: Vocabulaire Européen des Philosophies – Dictionnaire des Intraduisibles. Hg. v. Barbara Cassin. Tours, 2004, S. 847-849.
  • v. Verschuer, O.: (Art.) Mutation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 6, Basel/Stuttgart, 1984, Sp. 260 - 261.
Inhalt: Bis 1900 wird mit Mutation das Auftreten einer neuen, von den bisher vorkommenden Arten abweichenden und sich von da an vererbenden Pflanzen- oder Tierart bezeichnet. Die Orientierung der Mutation an äußeren Merkmalen hat sich als unzulässig erwiesen, neuere Ansätze gehen von einer Mutation des Erbgutes aus und unterscheiden drei Arten der Mutation: 1. die Genmutation; 2. Die Chromosomenmutation; 3. die Genommutation.
Jüngster Literaturhinweis 1964.

Sonstige Literatur

  • Kingsland, Sharon E.: The Battling Botanist: Daniel Trembly MacDougal, Mutation Theory, and the Rise of Experimental Evolutionary Biology in America, 1900-1912. Isis 82 (1991) S. 479-509.

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