begriffe:generation
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generation [2013/04/21 19:40] – [B. Sekundärliteratur] heyne | begriffe:generation [2018/10/24 21:39] (aktuell) – [B. Sekundärliteratur] mueller | ||
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====== Generation ====== | ====== Generation ====== | ||
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- | Von Sigrid Weigel | ||
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- | ===== 1. Die vergessene Geschichte des Generationskonzepts ===== | ||
- | Die Generation hat als Begriff sichtlich Konjunktur und ist als Thema populärer Publikationen bestsellerverdächtig. In den letzten Jahren sind Feuilleton und Zeitgeistpublikationen zu einem reichen Betätigungsfeld für die Porträts und Geschichten immer neuer Generationen und für den Einfallsreichtum in der Erfindung neuer Generationsnamen geworden. Für längere Zeit hatte es so ausgesehen, als sei der Begriff eher in die Bereiche von Technik und Werbung hinübergewandert, | ||
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- | Von und über Generationen wird aber nicht nur erzählt, Generationen werden auch wieder gezählt. Dieses Narrativ hat sich nicht nur in der Geschichtsschreibung nach 1945, in der Nachgeschichte von Zweitem Weltkrieg und Shoah durchgesetzt, | ||
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- | ===== 2. Das kurze Gedächtnis des Generationsdiskurses - Zur doppelten Semantik des Begriffs ===== | ||
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- | Während mit der Benennung von altersspezifischen Gruppen als »Generation Golf« oder »Generation arbeitslos« soziale Einheiten gebildet werden, denen oft eine identitätsstiftende Bedeutung zukommt, aktivieren Erzählungen entlang von Generationen die genealogische Dimension des Begriffs: die Familie, Nation oder Gattung wird aus der Abfolge von Generationen generiert. Damit ist genau jene doppelte Semantik im Spiel, die dem Begriff der Generation immer schon anhaftet. Während der engere soziologische Fachterminus Altersgruppen und Lebensabschnitte bezeichnet, um damit entweder gruppenspezifische Merkmale oder aber das Verhältnis zwischen den Gruppen zu untersuchen, | ||
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- | Im älteren, heute weitgehend vergessenen Wortgebrauch bezeichnet Generation auch die Schöpfung, Entstehung oder (Er-)Zeugung - lat. generatio, gr. genesis - eine Bedeutung, die in den biowissenschaftlichen Begriff von Zeugung oder Entstehung eines [[organismus|Organismus]] eingegangen ist. Etymologisch ist Generation aus dem Wortfeld von gr. genos ([[gattung|Gattung]] oder [[geschlecht|Geschlecht]]) abgeleitet, das auch als Menschenart und -alter übersetzt werden kann. Begründet in anthropologischen Phänomenen wie Alterung, Sterblichkeit und sexueller Reproduktion, | ||
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- | In der gegenwärtigen Verwendung des Begriffs dominiert allerdings eine Bedeutung, die sich weniger auf die genealogische, | ||
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- | Der Begriff lässt sich tatsächlich nicht definieren, aufgrund seiner doppelten Bedeutungsperspektive von Diachronie und Synchronie schon gar nicht eindeutig. Insofern ist die Einführung einer historischen Perspektive hilfreich, um die Problematik und methodische Widersprüchlichkeit in der gegenwärtigen Verwendung des Konzepts auf die Genese seiner unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen hin zu befragen. Im eklatanten Kontrast zur gegenwärtigen Konjunktur des Generationskonzepts ist allerdings seine Begriffs-, Diskurs- oder Wissenschaftsgeschichte weitgehend vergessen. Ebenso hat die Berücksichtigung des Begriffs im Register lexikalischen Wissens erst rudimentäre Formen angenommen. | ||
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- | ===== 3. Das heroische Generationsmodell der Moderne - Familienroman der Grande Nation (Nora) ===== | ||
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- | Die Generation als Kategorie zur Periodisierung der Zeitgeschichte sei heute nur noch eine symbolische Zeiteinheit; | ||
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- | Die Logik der von Nora erzählten Verfallsgeschichte einer Kategorie gründet dabei in der Szene eines gloriosen Ursprungs: »die Generation ist die Tochter der Demokratie und der Beschleunigung der Geschichte« ((Nora 1996, S. 508, Hvh. S.W.)). Es geht in seinem Beitrag also um die Geschichte der Generationen als Epochenkonzept der Moderne und dessen Geburt aus den Ideen der Französischen Revolution, insbesondere denen von Gleichheit, Fortschritt und Jugend. Als Gründungstexte für diesen emphatischen Generationsbegriff nennt Nora Proklamationen aus dem Umfeld der Französischen Revolution, die sich gegen das Erbschaftsprinzip des Ancien Régime richteten und diesem ein Generationsrecht entgegenstellten, | ||
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- | In diesem historischen Kontext, in dem Generation mit Jugend und mit dem Entwurf einer Zukunft assoziiert wird, galt die Formel Generation = Regeneration. Im Fahrwasser einer solchen Vorstellung erzählt Nora eine Geschichte Frankreichs im 19. und 20. Jahrhundert, | ||
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- | Frankreich sei das gelobte Land des Generationsbegriffs, | ||
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- | In methodischer Hinsicht steht die Generation bei Nora am Schnittpunkt zweier Projekte, seines theoretischen Projekts, dem Entwurf der Lieux de memoire (Gedächtnisorte), | ||
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- | ===== 4. Die Generationseinheit - Soziologie als Geisteswissenschaft (Mannheim) ===== | ||
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- | Deutliche Merkmale einer nationalen Betrachtungsweise teilt Pierre Nora mit dem als Klassiker gehandelten Beitrag von Karl Mannheim; in seinem Falle ist es die Perspektive einer deutschen Befangenheit. Als Ausgangslage zum »Problem der Generation« entwirft Karl Mannheim in seinem Beitrag »Das Problem der Generation« (1928) nämlich eine Konstellation entgegengesetzter Fragestellungen, | ||
- | Aufgrund solcher Kategorien wie »Innerzeitlichkeit« lässt sich Mannheims Modell offenbar ohne Schwierigkeiten in die ontische Sprache von Martin Heideggers //Sein und Zeit// übersetzen. So wird die Gleichzeitigkeit von Mannheim gerade nicht als soziales Faktum einer Jahrgangsgruppe näher spezifiziert, | ||
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- | Aus seiner Kritik am positivistischen Ansatz, seiner Zurückweisung der »Intervalltheorie« (Rhythmik der Generationenabfolge) inklusive der Vorstellung einer unmittelbaren Auswirkung der »naturalen Sphäre« im Geistigen leitet Mannheim die Notwendigkeit einer Vermittlung durch das »soziale Geschehen« ab und setzt diese in eine Konstruktion um, in der dem sozialen Geschehen buchstäblich die Mittelstellung zwischen der naturalen und der geistigen Sphäre zukommt: Als Ebene der »gesellschaftlich formierenden Kräfte«, die zwischen dem »Vitalen« (oder Biologischen) und dem »Geistigen« vermittelt. Damit führt er das Soziale als Medium der Verhandlungen zwischen Natur und Geist ein und schreibt der Soziologie zugleich eine Art Vermittlungsfunktion zu. | ||
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- | Der Begriff der Generation kann insofern als paradigmatisches Konzept in der Entgegensetzung der »zwei Kulturen« und ihrer konfliktreichen Geschichte betrachtet werden. Denn in Mannheims Theorie der Generation wird das dreischichtige Modell direkt am Begriff selbst abgebildet. Er führt nämlich drei Ebenen des Begriffs ein: Generationslagerung, | ||
- | ===== 5. Zur Archäologie der Generation als Gattungsbegriff - Mythische Narrative von Ursprung und Fortzeugung (Aristoteles, | ||
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- | Das Auftauchen des Wortes Generation im Deutschen ist ein Übersetzungsphänomen. Es begegnet einerseits in der Folge von gr. genesis ~ lat. generatio am Übergang von der lateinischen zur deutschen Wissenschaftssprache, | ||
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- | »Von Gattung, Stamm, spricht man, wo sich kontinuierlich eine Generation von Wesen, die dieselbe Form haben, an die andere reiht. So sagt man: solange die menschliche Gattung besteht, und meint damit: solange sich eine Generation von Menschen an die andere reiht. Man gebraucht das Wort aber auch da, wo es einen ersten Urheber und eine gemeinsame Abstammung gibt.« ((Aristoteles 1909, S. 606.)) | ||
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- | Wird Generation hier für Aristoteles' | ||
- | Während die Gattung also eine Größe bezeichnet, die nach den Kriterien von Gleichheit/ | ||
- | Man könnte auch sagen: Generation bezeichnet jene Zeugung, die der ersten (oder göttlichen) Entstehung folgt, d.h. die Fortzeugung. Im Kontinuum von Ursprung und Aneinanderreihung betrifft die Generation also den Bestand der Gattung in der Dimension der Zeit. Aus dieser Bedeutung der Generation als Glied in der Kette der Gattungswesen erklärt sich auch der ältere Sprachgebrauch, | ||
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- | In den Ursprungs- und Gründungsmythen der [[gattung|Gattung]] spielt diese Figur eine zentrale Rolle. Dabei unterscheiden sich die Erzählungen nicht nur in der Perspektive, | ||
===== Material ===== | ===== Material ===== | ||
==== A. Primärliteratur ==== | ==== A. Primärliteratur ==== | ||
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+ | Zum Artikel im Deutschen Fremdwörterbuch: | ||
|**2001**|Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluss des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, hg. v. Broder Corstmann, 3 Bde., New York u. Berlin 2001, Bd. 2, S. 563: Generation auch als Bezeichnung der Entwicklungsstufen von technischen Geräten, insbesondere Computern, Waffen, Kraftfahrzeugen und anderen Produkten, die durch eine bestimmte Technologie, | |**2001**|Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluss des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, hg. v. Broder Corstmann, 3 Bde., New York u. Berlin 2001, Bd. 2, S. 563: Generation auch als Bezeichnung der Entwicklungsstufen von technischen Geräten, insbesondere Computern, Waffen, Kraftfahrzeugen und anderen Produkten, die durch eine bestimmte Technologie, | ||
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* (Art.) Generation, in: Benner, Dietrich; Jürgen Oelkers: Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Weinheim, 2004. | * (Art.) Generation, in: Benner, Dietrich; Jürgen Oelkers: Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Weinheim, 2004. | ||
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+ | * Bebnowski, David: Generation und Geltung. Von den " | ||
* Bellin-Milleron, | * Bellin-Milleron, | ||
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* Heiden, U. an der, Roth, G. und H. Schwegler: Principles of self-generation and self-maintenance. In: Acta Biotheoretica, | * Heiden, U. an der, Roth, G. und H. Schwegler: Principles of self-generation and self-maintenance. In: Acta Biotheoretica, | ||
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+ | * Ulrike, Jureit: Generation, Generationalität, | ||
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+ | * Kraft, Andreas u. Weißhaupt, Mark (Hg.): Generationen. Erfahrung - Erzählung - Identität, Konstanz 2009. | ||
* McLaughlin, P.: Spontaneous versus equivocal generation in early modern science. In: Annals of the History and Philosophy of Biology 10, 2005, S. 79-88. | * McLaughlin, P.: Spontaneous versus equivocal generation in early modern science. In: Annals of the History and Philosophy of Biology 10, 2005, S. 79-88. | ||
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