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begriffe:energie

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-====== Energie ======+====== Energie (Entropie) ======
  
 Auch: Energieerhaltungssatz Auch: Energieerhaltungssatz
  
 Siehe auch: [[begriffe:Arbeit]], [[begriffe:Kraft]] Siehe auch: [[begriffe:Arbeit]], [[begriffe:Kraft]]
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 +Artikel von [[autoren:mueller_Ernst|Ernst Müller]]
  
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 Wenn der Begriff Anlass zu zahlreichen weltanschaulichen Reflexionen bot, dann nicht zuletzt deshalb, weil die ‚Entdeckung‘ dieser Tatsache selbst auf das Engste den ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen des aufsteigenden Industriekapitalismus korrespondierte; eine konsequente Trennung von ‚Sachgeschichte‘ und kultureller Semantik lässt sich daher kaum aufrechterhalten. Die Entstehung des Begriffs ist ohne die Ökonomisierung des Menschen, die Rationalisierung der Arbeit sowie die Entwicklung effizienter Maschinen und ihrer Antriebe kaum denkbar. Weil verschiedene Disziplinen und Praktiken an der Genese beteiligt sind, aber auch, weil Wort, Begriff und Terminus eine ungleichzeitige Entwicklung aufweisen, lassen sich die mit dem Energiebegriff verbundenen semantischen Umbrüche nur interdisziplinär und unter Einbeziehung eines breiteren Wortfelds (Umwandlung, Lebenskraft, Wärme, Kraft, Arbeit, Entropie, Wärmetod, Dispersion etc.) beschreiben. Die Verquickung von weltanschaulichem Bedürfnis und wissenschaftlicher Evidenz lässt ‚Energie‘, vergleichbar nur solchen naturwissenschaftlichen Begriffen wie Zelle und Evolution, zu einem Schlüsselbegriff des 19. Jahrhunderts werden. ‚Energie‘ ist Beispiel dafür, dass naturwissenschaftliche Begriffe an die Stelle universalistisch-philosophischer treten. Natürlich liegen auch diesen Begriffen philosophisch-theoretische Annahmen zugrunde, aber legitimiert werden sie empirisch-experimentell und mathematisch. Der Energiebegriff ist nicht nur Ausdruck dieses diskursiven Wandels, sondern zugleich wesentliches Moment seiner Etablierung.\\ Wenn der Begriff Anlass zu zahlreichen weltanschaulichen Reflexionen bot, dann nicht zuletzt deshalb, weil die ‚Entdeckung‘ dieser Tatsache selbst auf das Engste den ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen des aufsteigenden Industriekapitalismus korrespondierte; eine konsequente Trennung von ‚Sachgeschichte‘ und kultureller Semantik lässt sich daher kaum aufrechterhalten. Die Entstehung des Begriffs ist ohne die Ökonomisierung des Menschen, die Rationalisierung der Arbeit sowie die Entwicklung effizienter Maschinen und ihrer Antriebe kaum denkbar. Weil verschiedene Disziplinen und Praktiken an der Genese beteiligt sind, aber auch, weil Wort, Begriff und Terminus eine ungleichzeitige Entwicklung aufweisen, lassen sich die mit dem Energiebegriff verbundenen semantischen Umbrüche nur interdisziplinär und unter Einbeziehung eines breiteren Wortfelds (Umwandlung, Lebenskraft, Wärme, Kraft, Arbeit, Entropie, Wärmetod, Dispersion etc.) beschreiben. Die Verquickung von weltanschaulichem Bedürfnis und wissenschaftlicher Evidenz lässt ‚Energie‘, vergleichbar nur solchen naturwissenschaftlichen Begriffen wie Zelle und Evolution, zu einem Schlüsselbegriff des 19. Jahrhunderts werden. ‚Energie‘ ist Beispiel dafür, dass naturwissenschaftliche Begriffe an die Stelle universalistisch-philosophischer treten. Natürlich liegen auch diesen Begriffen philosophisch-theoretische Annahmen zugrunde, aber legitimiert werden sie empirisch-experimentell und mathematisch. Der Energiebegriff ist nicht nur Ausdruck dieses diskursiven Wandels, sondern zugleich wesentliches Moment seiner Etablierung.\\
 Die Situierung des Begriffs in einem weiten Netz von Bedingungen kann vielleicht erklären, warum der Begriff nahezu gleichzeitig und unabhängig voneinander entdeckt wurde (v. a. von Julius Robert Mayer, James Prescott Joule und Hermann von Helmholtz). Thomas Kuhn, der im Satz der Energieerhaltung das eindrucksvollste Beispiel einer gleichzeitigen Entdeckung sieht, benennt zwischen 1842 und 1847 zwölf Forscher, die wesentliche Momente des Begriffs gefunden haben.((Thomas S. Kuhn, Die Erhaltung der Energie als Beispiel gleichzeitiger Entdeckung (1959), in: ders., Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte, hg. v. Lorenz Krüger, Frankfurt a.M. 1978, S. 125-168.))\\ Die Situierung des Begriffs in einem weiten Netz von Bedingungen kann vielleicht erklären, warum der Begriff nahezu gleichzeitig und unabhängig voneinander entdeckt wurde (v. a. von Julius Robert Mayer, James Prescott Joule und Hermann von Helmholtz). Thomas Kuhn, der im Satz der Energieerhaltung das eindrucksvollste Beispiel einer gleichzeitigen Entdeckung sieht, benennt zwischen 1842 und 1847 zwölf Forscher, die wesentliche Momente des Begriffs gefunden haben.((Thomas S. Kuhn, Die Erhaltung der Energie als Beispiel gleichzeitiger Entdeckung (1959), in: ders., Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte, hg. v. Lorenz Krüger, Frankfurt a.M. 1978, S. 125-168.))\\
-Die Geschichte des Energiebegriffs ist bereits Teil des Energiediskurses um 1900: im (nationalistisch gefärbten) Streit um die Priorität seiner Entdeckung rekonstruierten schon zeitgenössisch die Protagonisten dessen Geschichte, bedeutende Physiker (von Helmholtz über Wilhelm Ostwald bis Werner Heisenberg, Heinrich Hertz und Max Planck) vergewisserten sich der Bedeutung des Satzes über seine Genese. Seit Ernst Mach ist das Äquivalenzgesetz auch ein Paradigma, an dem Wissenschaftshistoriker ihre Methoden erproben.((Ernst Mach, Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit (1872), Zweiter unveränderter Abdruck, Leipzig 1909. Kuhn, Die Erhaltung der Energie als Beispiel gleichzeitiger Entdeckung (s. Anm. 1). Yehuda Elkana, The Discovery of the Conservation of Energy. Havard University Press 1974.)) Während (durchaus instruktive) lexikalische Begriffsgeschichten den Begriff eher ressortmäßig untersuchten,((M. Jammer, (Art.) Energie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg v. Joachim Ritter, Bd. 2: D-F, Basel 1972, Sp. 494-499.  Werner Conze, (Art.)  Arbeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 154-215.)) haben erst jüngere Arbeiten Verbindungen zwischen den naturwissenschaftlich-technischen und kulturell-gesellschaftlichen Aspekten des Begriffes, zwischen den Begriffen der Energie und der Arbeit offengelegt.((Vgl. z.B. Stephen G. Brush, The Temperature of History. Phases of Science and Culture in the Nineteenth Century, New York 1978. Crosby Smith, The Science of Energy. A Cultural History of Energy Physics in Victorian Britain, London 1998. Bruce Clarke; Linda Henderson (Hg.), From Energy to Information: Representation in Science and Technology, Art and Literature, Stanford 2002. Elizabeth R. Neswald, Thermodynamik als kultureller Kampfplatz. Zur Faszinationsgeschichte der Entropie 1850-1915, Berlin 2006.  Christian Kassung, EntropieGeschichten. Robert Musils ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘ im Diskurs der modernen Physik, München 2001.))+Die Geschichte des Energiebegriffs ist bereits Teil des Energiediskurses um 1900: im (nationalistisch gefärbten) Streit um die Priorität seiner Entdeckung rekonstruierten schon zeitgenössisch die Protagonisten dessen Geschichte, bedeutende Physiker (von Helmholtz über Wilhelm Ostwald bis Werner Heisenberg, Heinrich Hertz und Max Planck) vergewisserten sich der Bedeutung des Satzes über seine Genese. Seit Ernst Mach ist das Äquivalenzgesetz auch ein Paradigma, an dem Wissenschaftshistoriker ihre Methoden erproben.((Ernst Mach, Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit (1872), Zweiter unveränderter Abdruck, Leipzig 1909. Kuhn, Die Erhaltung der Energie als Beispiel gleichzeitiger Entdeckung (s. Anm. 1). Yehuda Elkana, The Discovery of the Conservation of Energy. Havard University Press 1974.)) Während (durchaus instruktive) lexikalische Begriffsgeschichten den Begriff eher ressortmäßig untersuchten,((M. Jammer, (Art.) Energie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg v. Joachim Ritter, Bd. 2: D-F, Basel 1972, Sp. 494-499. Werner Conze, (Art.) Arbeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 154-215.)) haben erst jüngere Arbeiten Verbindungen zwischen den naturwissenschaftlich-technischen und kulturell-gesellschaftlichen Aspekten des Begriffes, zwischen den Begriffen der Energie und der Arbeit offengelegt.((Vgl. z.B. Stephen G. Brush, The Temperature of History. Phases of Science and Culture in the Nineteenth Century, New York 1978. Crosby Smith, The Science of Energy. A Cultural History of Energy Physics in Victorian Britain, London 1998. Bruce Clarke; Linda Henderson (Hg.), From Energy to Information: Representation in Science and Technology, Art and Literature, Stanford 2002. Elizabeth R. Neswald, Thermodynamik als kultureller Kampfplatz. Zur Faszinationsgeschichte der Entropie 1850-1915, Berlin 2006. Christian Kassung, EntropieGeschichten. Robert Musils ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘ im Diskurs der modernen Physik, München 2001.))
  
 ===I. Erhaltung und Umwandlung vor dem Energiebegriff=== ===I. Erhaltung und Umwandlung vor dem Energiebegriff===
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 Sowohl Mayer wie auch Helmholtz fanden das Gesetz nicht in der Physik, sondern über den Umweg der Physiologie. Der schwäbische Oberamtswundrat (und physikalische Autodidakt) Mayer hat selbst seine Beobachtungen als Schiffsarzt als Ausgangspunkt seines Nachdenkens über den Erhaltungssatz benannt. Er stellte im wärmeren Klima den geringen Unterschied in der Farbe des arteriellen und venösen Blutes bei erkrankten Matrosen fest und erklärte ihn durch einen geringeren Sauerstoffverbrauch des Organismus im Stoffumsatz. Wie Mayer war auch Helmholtz lange Jahre Physiologe und Mediziner, genauer Chirurg, bevor er 1871 eine Physikprofessur in Berlin erhielt. Wenn Helmholtz (wie auch Mayer) über Fäulnis und Gärung, den Stoffverbrauch bei Muskelaktionen und physiologische Wärmeerscheinungen arbeiteten, so richteten sich ihre Überlegungen gegen die Theorie der Lebenskraft (vis vitalis). Helmholtz gehörte zu denjenigen Schülern Johannes von Müllers, die – mit Emil du Bois Reymond an der Spitze – dagegen einen physikalisch-chemischen Reduktionismus geltend machten. Auch wenn die ‚Lebenskraft‘kaum so explizit und emphatisch gebraucht wurde, wie du Bois-Reymond unterstellte, so lag sie doch zeitgenössischen Auffassungen vom Organismus implizit oder als Platzhalterbegriff zugrunde.\\ Sowohl Mayer wie auch Helmholtz fanden das Gesetz nicht in der Physik, sondern über den Umweg der Physiologie. Der schwäbische Oberamtswundrat (und physikalische Autodidakt) Mayer hat selbst seine Beobachtungen als Schiffsarzt als Ausgangspunkt seines Nachdenkens über den Erhaltungssatz benannt. Er stellte im wärmeren Klima den geringen Unterschied in der Farbe des arteriellen und venösen Blutes bei erkrankten Matrosen fest und erklärte ihn durch einen geringeren Sauerstoffverbrauch des Organismus im Stoffumsatz. Wie Mayer war auch Helmholtz lange Jahre Physiologe und Mediziner, genauer Chirurg, bevor er 1871 eine Physikprofessur in Berlin erhielt. Wenn Helmholtz (wie auch Mayer) über Fäulnis und Gärung, den Stoffverbrauch bei Muskelaktionen und physiologische Wärmeerscheinungen arbeiteten, so richteten sich ihre Überlegungen gegen die Theorie der Lebenskraft (vis vitalis). Helmholtz gehörte zu denjenigen Schülern Johannes von Müllers, die – mit Emil du Bois Reymond an der Spitze – dagegen einen physikalisch-chemischen Reduktionismus geltend machten. Auch wenn die ‚Lebenskraft‘kaum so explizit und emphatisch gebraucht wurde, wie du Bois-Reymond unterstellte, so lag sie doch zeitgenössischen Auffassungen vom Organismus implizit oder als Platzhalterbegriff zugrunde.\\
 Das entscheidende ‚Denkhindernis‘ auf dem Weg zum Energieerhaltungssatz war aber die Theorie eines unwägbaren materiellen Wärmestoffs, wie sie noch (als ‚calorique‘ bezeichnet) von Lavoisier vertreten wurde. Es war nur ein anderer Ausdruck für Mayers Entdeckung von 1842, wenn er als deren „große Wahrheit“ hervorhob: „Es gibt keine immateriellen Materien.“((Robert Mayer, Die Mechanik der Wärme, in: Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Bd. 37 (Reprint der Bde. 37, 180 u 99), Frankfurt a.M. 2003, S. 33.)) Für den Begriff der Energie waren drei Erkenntnisse Mayers wesentlich: Erstens erkannte er die Wärmemenge als weitere Kraft neben der kinetischen und potentiellen. Zweitens wies Mayer nach, dass sich Wärme („(d)iese dritte Kraft, deren Wirkungen unser Jahrhundert mit Bewunderung erblickt“) in andere Energieformen umwandeln lässt.((Ebd., S. 14.)) Er abstrahierte dabei von der Frage, was bestimmte Energieformen seien oder wie ihre ‚Metamorphosen’ ineinander vor sich gehen und konzentrierte sich auf rein quantitative Fragen. Mittels Versuche über die Verbrennungsprozesse im menschlichen Körper gelang es Mayer, Lavoisiers ‚Kalorien‘ in den quantitativen Wert des mechanischen Wärmeäquivalents aufzulösen (365 kpm = 1 kcal). Nahezu gleichzeitig, aber unabhängig von Mayer hat 1843 Joule, der sich mit der Effizienzsteigerung von Antriebsmaschinen beschäftigte, das Wärmeäquivalent methodisch präziser berechnen können. Aus der Erzeugbarkeit der Wärme durch mechanische Bewegung folgerte Joule, dass Wärme selber mechanische Bewegung sein müsse. Drittens stellte Mayer die These auf, dass die Summe aller Energieformen in einem abgeschlossenen System konstant sei. Mayer hat sein neues Gesetz auf weitere, insbesondere physiologische Prozesse bezogen (Arbeitsleistung der Muskeln, Fieber, Atmung etc.) und die Vorstellung entwickelt, dass der lebendige Körper eine Art Maschine sei, die die chemische Energie der Nahrungsmittel in eine äquivalente Menge von mechanischer Energie und Wärme umwandle. Damit wurden Unterschiede in der Funktionsweise menschlicher und tierischer Körper verworfen.\\ Das entscheidende ‚Denkhindernis‘ auf dem Weg zum Energieerhaltungssatz war aber die Theorie eines unwägbaren materiellen Wärmestoffs, wie sie noch (als ‚calorique‘ bezeichnet) von Lavoisier vertreten wurde. Es war nur ein anderer Ausdruck für Mayers Entdeckung von 1842, wenn er als deren „große Wahrheit“ hervorhob: „Es gibt keine immateriellen Materien.“((Robert Mayer, Die Mechanik der Wärme, in: Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Bd. 37 (Reprint der Bde. 37, 180 u 99), Frankfurt a.M. 2003, S. 33.)) Für den Begriff der Energie waren drei Erkenntnisse Mayers wesentlich: Erstens erkannte er die Wärmemenge als weitere Kraft neben der kinetischen und potentiellen. Zweitens wies Mayer nach, dass sich Wärme („(d)iese dritte Kraft, deren Wirkungen unser Jahrhundert mit Bewunderung erblickt“) in andere Energieformen umwandeln lässt.((Ebd., S. 14.)) Er abstrahierte dabei von der Frage, was bestimmte Energieformen seien oder wie ihre ‚Metamorphosen’ ineinander vor sich gehen und konzentrierte sich auf rein quantitative Fragen. Mittels Versuche über die Verbrennungsprozesse im menschlichen Körper gelang es Mayer, Lavoisiers ‚Kalorien‘ in den quantitativen Wert des mechanischen Wärmeäquivalents aufzulösen (365 kpm = 1 kcal). Nahezu gleichzeitig, aber unabhängig von Mayer hat 1843 Joule, der sich mit der Effizienzsteigerung von Antriebsmaschinen beschäftigte, das Wärmeäquivalent methodisch präziser berechnen können. Aus der Erzeugbarkeit der Wärme durch mechanische Bewegung folgerte Joule, dass Wärme selber mechanische Bewegung sein müsse. Drittens stellte Mayer die These auf, dass die Summe aller Energieformen in einem abgeschlossenen System konstant sei. Mayer hat sein neues Gesetz auf weitere, insbesondere physiologische Prozesse bezogen (Arbeitsleistung der Muskeln, Fieber, Atmung etc.) und die Vorstellung entwickelt, dass der lebendige Körper eine Art Maschine sei, die die chemische Energie der Nahrungsmittel in eine äquivalente Menge von mechanischer Energie und Wärme umwandle. Damit wurden Unterschiede in der Funktionsweise menschlicher und tierischer Körper verworfen.\\
-In der physikalischen Gemeinde blieb Mayer die wissenschaftliche Anerkennung wegen seiner zum Teil philosophisch-deduktiv dargelegten Entdeckung zunächst versagt. Helmholtz gilt in der Wissenschaftsgeschichte als derjenige, der 1847 als erster das „Princip von der Erhaltung der Kraft“ mathematisch analysierte und seine Funktion in der Physik begründete: „Es ist also stets die Summe der vorhandenen lebendigen und Spannkräfte constant“((Hermann von Helmholtz, Über die Erhaltung der Kraft (1847), in: Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Bd. 1, Frankfurt a.M. 2011, S. 5-62, hier S. 16.)) - wobei der ‚lebendigen Kraft‘ (nach dem auf Leibniz zurückgehenden Begriff der vis viva) die kinetische Energie und der ‚Spannkraft‘ die potenzielle Energie entsprach. Daraus folge, „dass die Summe der wirkungsfähigen Kraftmengen im Naturganzen bei allen Veränderungen in der Natur ewig und unverändert dieselbe bleibt. Alle Veränderung in der Natur besteht darin, dass die Arbeitskraft ihre Form und ihren Ort wechselt, ohne dass ihre Quantität verändert wird. Das Weltall besitzt ein für alle Mal einen Schatz von Arbeitskraft, der durch keinen Wechsel der Erscheinungen verändert, vermehrt oder vermindert werden kann und der alle in ihm vorgehende Veränderung unterhält." (Hermann von Helmholtz, Ueber die Erhaltung der Kraft (1862/63), in: Vorträge und Reden, 5. Aufl., Braunschweig 1903. Bd. 1, S. 227.))+In der physikalischen Gemeinde blieb Mayer die wissenschaftliche Anerkennung wegen seiner zum Teil philosophisch-deduktiv dargelegten Entdeckung zunächst versagt. Helmholtz gilt in der Wissenschaftsgeschichte als derjenige, der 1847 als erster das „Princip von der Erhaltung der Kraft“ mathematisch analysierte und seine Funktion in der Physik begründete: „Es ist also stets die Summe der vorhandenen lebendigen und Spannkräfte constant“((Hermann von Helmholtz, Über die Erhaltung der Kraft (1847), in: Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Bd. 1, Frankfurt a.M. 2011, S. 5-62, hier S. 16.)) - wobei der ‚lebendigen Kraft‘ (nach dem auf Leibniz zurückgehenden Begriff der vis viva) die kinetische Energie und der ‚Spannkraft‘ die potenzielle Energie entsprach. Daraus folge, „dass die Summe der wirkungsfähigen Kraftmengen im Naturganzen bei allen Veränderungen in der Natur ewig und unverändert dieselbe bleibt. Alle Veränderung in der Natur besteht darin, dass die Arbeitskraft ihre Form und ihren Ort wechselt, ohne dass ihre Quantität verändert wird. Das Weltall besitzt ein für alle Mal einen Schatz von Arbeitskraft, der durch keinen Wechsel der Erscheinungen verändert, vermehrt oder vermindert werden kann und der alle in ihm vorgehende Veränderung unterhält." ((Hermann von Helmholtz, Ueber die Erhaltung der Kraft (1862/63), in: Vorträge und Reden, 5. Aufl., Braunschweig 1903. Bd. 1, S. 227.))
  
 ===III. Mechanische Arbeit und kapitalistische Ökonomie=== ===III. Mechanische Arbeit und kapitalistische Ökonomie===
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 Wie stark die Aufstellung des Energieerhaltungssatzes mit dem emporstrebenden Kapitalismus zusammenhängt, lassen die ubiquitären Vergleiche zwischen ihm und den Begriffen des Tausches, der Wertbildung und insbesondere der Arbeit erkennen. Wie die Sätze der Thermodynamik den Bedürfnissen des Industriekapitalismus entsprangen, so haben sie umgekehrt auf die Kategorien des sozialwissenschaftlichen Denkens zurückgewirkt: „Die Thermodynamik veränderte den Arbeitsbegriff ganz entscheidend, indem sie ihn entsprechend den Grundsätzen von der neuen Industrietechnologie der Dampfkraft modernisierte und zugleich in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Physik naturalisierte.“((Maria Osietzky, Körpermaschinen und Dampfmaschinen. Vom Wandel der Physiologie und Körpers unter dem Einfluß von Industrialisierung und Thermodynamik, in: Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur Verwissenschaftlichung im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Philipp Sarasin und Jakob Tanner, Frankfurt a.M. 1998, S. 313-346.)) Wie stark die Aufstellung des Energieerhaltungssatzes mit dem emporstrebenden Kapitalismus zusammenhängt, lassen die ubiquitären Vergleiche zwischen ihm und den Begriffen des Tausches, der Wertbildung und insbesondere der Arbeit erkennen. Wie die Sätze der Thermodynamik den Bedürfnissen des Industriekapitalismus entsprangen, so haben sie umgekehrt auf die Kategorien des sozialwissenschaftlichen Denkens zurückgewirkt: „Die Thermodynamik veränderte den Arbeitsbegriff ganz entscheidend, indem sie ihn entsprechend den Grundsätzen von der neuen Industrietechnologie der Dampfkraft modernisierte und zugleich in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Physik naturalisierte.“((Maria Osietzky, Körpermaschinen und Dampfmaschinen. Vom Wandel der Physiologie und Körpers unter dem Einfluß von Industrialisierung und Thermodynamik, in: Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur Verwissenschaftlichung im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Philipp Sarasin und Jakob Tanner, Frankfurt a.M. 1998, S. 313-346.))
 Schon Lavoisier war im Zuge seiner Untersuchungen zum Sauerstoffverbrauch auf einen abstrakten Begriff von Arbeit gestoßen: "Wir können z.B. bestimmen, welches Gewicht gehoben werden muß, um der Arbeit zu entsprechen, die ein Mann, der eine Rede hält, oder ein Musiker, der ein Instrument spielt, leistet. Wir können sogar den mechanischen Aufwand in der Arbeit eines Philosophen, wenn er nachdenkt, eines Literaten, wenn er schreibt, und eines Musikers, wenn er komponiert, berechnen." „Es hat deshalb seinen guten Grund, daß die französische Sprache unter der gemeinsamen Definition von 'travail' die Anstrengungen des Geistes mit denen des Körpers vereinigt, die 'travail' der Geistestätigkeit und die 'travail' des gedungenen Dieners."((Lavoisier, Mémoire, zit. nach Ruth Moore, Die Lebensspirale, Stuttgart 1967, S. 26 f.)) Schon Lavoisier war im Zuge seiner Untersuchungen zum Sauerstoffverbrauch auf einen abstrakten Begriff von Arbeit gestoßen: "Wir können z.B. bestimmen, welches Gewicht gehoben werden muß, um der Arbeit zu entsprechen, die ein Mann, der eine Rede hält, oder ein Musiker, der ein Instrument spielt, leistet. Wir können sogar den mechanischen Aufwand in der Arbeit eines Philosophen, wenn er nachdenkt, eines Literaten, wenn er schreibt, und eines Musikers, wenn er komponiert, berechnen." „Es hat deshalb seinen guten Grund, daß die französische Sprache unter der gemeinsamen Definition von 'travail' die Anstrengungen des Geistes mit denen des Körpers vereinigt, die 'travail' der Geistestätigkeit und die 'travail' des gedungenen Dieners."((Lavoisier, Mémoire, zit. nach Ruth Moore, Die Lebensspirale, Stuttgart 1967, S. 26 f.))
-Während Helmholtz in seiner Abhandlung Über die Erhaltung der Kraft von 1847 weitgehend innerphysikalisch argumentiert, entwickeln die gleichnamigen Vorlesungen von 1862/63 das Problem aus praktischer, insbesondere ökonomischer Perspektive. Helmholtz bezieht die mit dem Energiesatz verbundene Widerlegung des Perpetuum mobile auf den Wertbildungsprozess, der nur durch Maschinen geleistet werde, denen Energie zugeführt wird. „Arbeit ist Geld“.((Helmholtz, Über die Wechselwirkung der Naturkräfte und die darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik (1854), in: Vorträge und Reden (Anm. 9), S. 48-83, hier  S.  53.)) Sie wird auf ihre rein physisch-mechanische Funktion reduziert. Helmholtz verdeutlicht selbst, wie die physikalischen Kategorien auf gesellschaftlich erzeugten Abstraktionen beruhen. „Sowohl der Arm des Grobschmieds, der schwere Schläge mit dem mächtigen Hammer führt, wie der des Violinspielers, der die leisesten Abänderungen des Klanges zu unterhalten weiss, und die Hand der Stickerin, welche mit Fäden, die an der Grenze des Sichtbaren liegen, ihr feines Werk ausführt: sie alle empfangen die Kraft, welche sie bewegt, auf die gleiche Weise und durch dieselben Organe, nämlich durch die im Arm gelegenen Muskeln.“((Helmholtz, Über die Erhaltung der Kraft, S. 192 f.)) Antriebsorgane (auch Triebkraft), so die Analogie zwischen Mensch und Maschine, sind die Muskeln, auch ihre Ermüdungs- oder Erschöpfungsfähigkeit. +Während Helmholtz in seiner Abhandlung Über die Erhaltung der Kraft von 1847 weitgehend innerphysikalisch argumentiert, entwickeln die gleichnamigen Vorlesungen von 1862/63 das Problem aus praktischer, insbesondere ökonomischer Perspektive. Helmholtz bezieht die mit dem Energiesatz verbundene Widerlegung des Perpetuum mobile auf den Wertbildungsprozess, der nur durch Maschinen geleistet werde, denen Energie zugeführt wird. „Arbeit ist Geld“.((Helmholtz, Über die Wechselwirkung der Naturkräfte und die darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen der Physik (1854), in: Vorträge und Reden (Anm. 9), S. 48-83, hier S. 53.)) Sie wird auf ihre rein physisch-mechanische Funktion reduziert. Helmholtz verdeutlicht selbst, wie die physikalischen Kategorien auf gesellschaftlich erzeugten Abstraktionen beruhen. „Sowohl der Arm des Grobschmieds, der schwere Schläge mit dem mächtigen Hammer führt, wie der des Violinspielers, der die leisesten Abänderungen des Klanges zu unterhalten weiss, und die Hand der Stickerin, welche mit Fäden, die an der Grenze des Sichtbaren liegen, ihr feines Werk ausführt: sie alle empfangen die Kraft, welche sie bewegt, auf die gleiche Weise und durch dieselben Organe, nämlich durch die im Arm gelegenen Muskeln.“((Helmholtz, Über die Erhaltung der Kraft, S. 192 f.)) Antriebsorgane (auch Triebkraft), so die Analogie zwischen Mensch und Maschine, sind die Muskeln, auch ihre Ermüdungs- oder Erschöpfungsfähigkeit. 
 Auch Marx‘ Arbeits- und Wertbegriff weist Analogien zum allgemeinen Energiebegriff auf, insofern auch er eine Arbeit unterstellt, die von qualitativen oder konkreten Formen abstrahiert. „Es war ein ungeheurer Fortschritt von Adam Smith, jede Bestimmtheit der Reichtum zeugenden Tätigkeit fortzuwerfen – Arbeit schlechthin, weder Manufaktur, noch kommerzielle, noch Agrikulturarbeit, aber sowohl die eine wie die andre. […] Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andre übergehen und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden und hat aufgehört, als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein. […] Hier also wird die Abstraktion der Kategorie ‚Arbeit‘, ‚Arbeit überhaupt‘, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr.“((Marx, Karl: Kritik der politischen Ökonomie. Einleitung, in: Marx Engels Werke (MEW), Berlin 1956 bis 1990, Bd. 13, S. 634f.))\\ Auch Marx‘ Arbeits- und Wertbegriff weist Analogien zum allgemeinen Energiebegriff auf, insofern auch er eine Arbeit unterstellt, die von qualitativen oder konkreten Formen abstrahiert. „Es war ein ungeheurer Fortschritt von Adam Smith, jede Bestimmtheit der Reichtum zeugenden Tätigkeit fortzuwerfen – Arbeit schlechthin, weder Manufaktur, noch kommerzielle, noch Agrikulturarbeit, aber sowohl die eine wie die andre. […] Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andre übergehen und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden und hat aufgehört, als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein. […] Hier also wird die Abstraktion der Kategorie ‚Arbeit‘, ‚Arbeit überhaupt‘, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr.“((Marx, Karl: Kritik der politischen Ökonomie. Einleitung, in: Marx Engels Werke (MEW), Berlin 1956 bis 1990, Bd. 13, S. 634f.))\\
-Wenn Marx von ‚menschlicher Arbeit‘ spricht, dann meint auch er gewöhnlich maschinelle Arbeit und unterscheidet davon die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft. Marx übernimmt die physikalische Quantifizierung des Arbeitsbegriffs (und zitiert einen englischen Popularisator des Energiebegriffs, William Robert Grove).((Ders., Das Kapital, in: MEW (Anm. 18), Bd. 23, S. 549.)) Er gibt ihr aber zugleich einen anderen Rahmen, indem er sie der gesellschaftlichen Formbestimmtheit (nämlich der kapitalistischen Produktion des Mehrwerts) zuordnet. Philip Mirowski, amerikanischer Ökonom und Wissenschaftshistoriker, hat sogar  nachzuweisen versucht, dass alle bis heute wirksamen Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre sich der Übersetzung von Grundbegriffen der Physik und der Maschinentheorie des 19. Jahrhunderts verdankten.((Philip Mirowski, More Heat than Light. Economics as Social Physics, Physics as Nature’s Economics, Cambridge University Press 1989. Vgl. ders.,  Machine Dreams: Economics becomes a Cyborg Science, 2002.)) +Wenn Marx von ‚menschlicher Arbeit‘ spricht, dann meint auch er gewöhnlich maschinelle Arbeit und unterscheidet davon die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft. Marx übernimmt die physikalische Quantifizierung des Arbeitsbegriffs (und zitiert einen englischen Popularisator des Energiebegriffs, William Robert Grove).((Ders., Das Kapital, in: MEW (Anm. 18), Bd. 23, S. 549.)) Er gibt ihr aber zugleich einen anderen Rahmen, indem er sie der gesellschaftlichen Formbestimmtheit (nämlich der kapitalistischen Produktion des Mehrwerts) zuordnet. Philip Mirowski, amerikanischer Ökonom und Wissenschaftshistoriker, hat sogar nachzuweisen versucht, dass alle bis heute wirksamen Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre sich der Übersetzung von Grundbegriffen der Physik und der Maschinentheorie des 19. Jahrhunderts verdankten.((Philip Mirowski, More Heat than Light. Economics as Social Physics, Physics as Nature’s Economics, Cambridge University Press 1989. Vgl. ders., Machine Dreams: Economics becomes a Cyborg Science, 2002.)) 
 Der Energiebegriff wirkte über die im gleichen Zuge entstehende Arbeitsphysiologie auf die Messung und Optimierung der menschlichen Arbeitskraft zurück. Bereits Du Bois-Reymond machte den Energieerhaltungssatz zur Grundlage einer exakt messenden Physiologie. In den 1890er Jahren wies der Physiologe und Hygieniker Max Rubner die Gültigkeit des Erhaltungssatzes für Lebewesen nach.((Max Rubner, Die Quelle der thierischen Wärme, in: Zeitschrift für Biologie 30 (1894), S. 73-142. Vgl. Anson Rabinbach: Ermüdung, Energie und menschlicher Motor (Anm. 12).)) Er betrachtete nicht mehr nur Teilsysteme des Organismus, sondern die Umwandlungsprozesse des Gesamtorganismus‘. Rubner leitet einen Paradigmenwechsel in der Physiologie ein, die er vom Stoffwechsel auf eine energetische Basis umstellen wollte. Die Kraftumwandlung habe nicht die chemischen Qualitäten der Ernährungsstoffe zu untersuchen, sondern ihre chemische Energie. Die Energie der Nahrungsmittel drückte Rubner als kalorischen Wert aus.  Der Energiebegriff wirkte über die im gleichen Zuge entstehende Arbeitsphysiologie auf die Messung und Optimierung der menschlichen Arbeitskraft zurück. Bereits Du Bois-Reymond machte den Energieerhaltungssatz zur Grundlage einer exakt messenden Physiologie. In den 1890er Jahren wies der Physiologe und Hygieniker Max Rubner die Gültigkeit des Erhaltungssatzes für Lebewesen nach.((Max Rubner, Die Quelle der thierischen Wärme, in: Zeitschrift für Biologie 30 (1894), S. 73-142. Vgl. Anson Rabinbach: Ermüdung, Energie und menschlicher Motor (Anm. 12).)) Er betrachtete nicht mehr nur Teilsysteme des Organismus, sondern die Umwandlungsprozesse des Gesamtorganismus‘. Rubner leitet einen Paradigmenwechsel in der Physiologie ein, die er vom Stoffwechsel auf eine energetische Basis umstellen wollte. Die Kraftumwandlung habe nicht die chemischen Qualitäten der Ernährungsstoffe zu untersuchen, sondern ihre chemische Energie. Die Energie der Nahrungsmittel drückte Rubner als kalorischen Wert aus. 
  
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 ===VI. Energetik: Streitsache zwischen Natur- und Kultur- und Sozialwissenschaft=== ===VI. Energetik: Streitsache zwischen Natur- und Kultur- und Sozialwissenschaft===
 In Helmholtz‘ populären Vorträgen diente der Energieerhaltungssatz zur Begründung der sich gerade etablierenden methodischen Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften. Zu einem diskursiven Grundbegriff wurde Energie aber nicht zuletzt deswegen, weil die Grenzen seiner Geltung hochumstritten waren. Insbesondere wird am Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert, inwieweit der Begriff zur Erklärung von Phänomenen jenseits der Natur, nämlich der Kultur und Gesellschaft geeignet ist.\\ In Helmholtz‘ populären Vorträgen diente der Energieerhaltungssatz zur Begründung der sich gerade etablierenden methodischen Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften. Zu einem diskursiven Grundbegriff wurde Energie aber nicht zuletzt deswegen, weil die Grenzen seiner Geltung hochumstritten waren. Insbesondere wird am Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert, inwieweit der Begriff zur Erklärung von Phänomenen jenseits der Natur, nämlich der Kultur und Gesellschaft geeignet ist.\\
-Ein anderer Grenzbereich war die Psychologie. In seinen Elementen der Psychophysik (1860) hatte Fechner den psychophysischen Parallelismus auch energetisch begründet. Er übertrug die potentielle Energie als ‚Spannkraft‘ auf das Gebiet der geistigen Tätigkeiten und unterstellte psycho-physiologische Interaktionen mit motorischen Prozessen.((Vgl. (Art.) in: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Anm. ), Bd. 9, S. 1295.)) Das Energieerhaltungsgesetz diente der Begründung des psychophysischen Parallelismus. Als daher der psychophysische Parallelismus in den 1890er Jahren von Philosophen wie  Wilhelm Wundt und Carl Stumpf angegriffen wurde, spielte der Energieerhaltungssatz eine wesentliche Rolle.((Vgl. Mai Wegener, Der psychophysische Parallelismus, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin, August 2009, Bd. 17, H. 3, S. 277-316. )) Carl Stumpf, der sich für ein Verhältnis der Wechselwirkung (also der Kausalität) zwischen Physis und Psyche aussprach, ging von der Existenz einer eigenen psychischen Energie aus.((Stumpf Carl, Eröffnungsrede zum 3. Internationalen Kongress für Psychologie in München 1896. Acten des dritten internationalen Congresses für Psychologie in München 1896. München 3–16. Dazu auch Ludwig Busse,  Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele und das Gesetz der Erhaltung der Energie (1900), in: Philosophische Abhandlungen. Christoph Siegwart zu seinem Sechzigsten Geburtstag gewidmet, Tübingen 1900, S. 89-125. Henri Bergson, Hirn und Denken. Eine philosophische Illusion, in: ders., Die seelische Energie, Jena 1928.))\\ +Ein anderer Grenzbereich war die Psychologie. In seinen Elementen der Psychophysik (1860) hatte Fechner den psychophysischen Parallelismus auch energetisch begründet. Er übertrug die potentielle Energie als ‚Spannkraft‘ auf das Gebiet der geistigen Tätigkeiten und unterstellte psycho-physiologische Interaktionen mit motorischen Prozessen.((Vgl. (Art.) in: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Anm. ), Bd. 9, S. 1295.)) Das Energieerhaltungsgesetz diente der Begründung des psychophysischen Parallelismus. Als daher der psychophysische Parallelismus in den 1890er Jahren von Philosophen wie Wilhelm Wundt und Carl Stumpf angegriffen wurde, spielte der Energieerhaltungssatz eine wesentliche Rolle.((Vgl. Mai Wegener, Der psychophysische Parallelismus, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin, August 2009, Bd. 17, H. 3, S. 277-316. )) Carl Stumpf, der sich für ein Verhältnis der Wechselwirkung (also der Kausalität) zwischen Physis und Psyche aussprach, ging von der Existenz einer eigenen psychischen Energie aus.((Stumpf Carl, Eröffnungsrede zum 3. Internationalen Kongress für Psychologie in München 1896. Acten des dritten internationalen Congresses für Psychologie in München 1896. München 3–16. Dazu auch Ludwig Busse, Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele und das Gesetz der Erhaltung der Energie (1900), in: Philosophische Abhandlungen. Christoph Siegwart zu seinem Sechzigsten Geburtstag gewidmet, Tübingen 1900, S. 89-125. Henri Bergson, Hirn und Denken. Eine philosophische Illusion, in: ders., Die seelische Energie, Jena 1928.))\\ 
-Dagegen vertrat Freud zunächst das biophysikalische Paradigma seines Lehrers Ernst Brücke. Probleme der Psychologie werden um 1900 energetisch reformuliert. Die ‚Kräfte‘ wechseln gleichsam aus der Biologie in die Psychologie, sie werden als Gegenspieler des bewußten Willens zu ‚unbewußten Kräfte‘ des Seelenlebens. Freud verhandelt die Triebe zunächst im energetischen Modell, die Libido entspricht bei ihm der  Lebensenergie. Freud nutzte vor 1906 Metaphern der Naturwissenschaft und Technik (Energieerhaltungsprinzip, hydraulische Figuren der klassischen Mechanik, Triebtheorie nach dem Dampfkesselmodell etc.), um das Gebiet der Psychoanalyse wissenschaftlich zu formulieren.((Vgl. Günter Gödde, Der Kraftbegriff bei Freud. Physiologische und psychologische Verwendungen, in: Brandstätter, Windgätter, Zeichen der Kraft (s. Anm. 21), S. 228-246. Sigmund Freud, Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908), in: Gesammelte Werke Bd. VII, Frankfurt a. M. 1999, S. 141-167. Ders., Entwurf einer Psychologie (1895), in: ebd., Nachtragsband, 373-486.)) Konzepte wie die ‚Trauerarbeit’ etc. sind nach energetischen Vorstellungen konzipiert. In Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität fasst Freud die Sublimierung sexueller Energien in kulturelle Ziele entsprechend den Umwandlungsprozessen der Energie. Analog zur Figur der Entropie hebt Freud hervor, dass die Libido aus psychoanalytischer Sicht nicht restlos sublimierbar sei. „Ins Unendliche fortsetzen lässt sich „dieser Verschiebungsprozeß aber sicherlich nicht, so wenig wie die Umsetzung der Wärme in mechanische Arbeit bei unseren Maschinen“ ins Unbegrenzte fortzusetzen sei.((Sigmund Freud, Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität, in: Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturkritische Schriften, Frankfurt a.M. 1997, S. 109-132, hier S. 117.)) Nach 1906 benutze Freud andere Bildquellen, wie z.B. Mythentheorien.\\+Dagegen vertrat Freud zunächst das biophysikalische Paradigma seines Lehrers Ernst Brücke. Probleme der Psychologie werden um 1900 energetisch reformuliert. Die ‚Kräfte‘ wechseln gleichsam aus der Biologie in die Psychologie, sie werden als Gegenspieler des bewußten Willens zu ‚unbewußten Kräfte‘ des Seelenlebens. Freud verhandelt die Triebe zunächst im energetischen Modell, die Libido entspricht bei ihm der Lebensenergie. Freud nutzte vor 1906 Metaphern der Naturwissenschaft und Technik (Energieerhaltungsprinzip, hydraulische Figuren der klassischen Mechanik, Triebtheorie nach dem Dampfkesselmodell etc.), um das Gebiet der Psychoanalyse wissenschaftlich zu formulieren.((Vgl. Günter Gödde, Der Kraftbegriff bei Freud. Physiologische und psychologische Verwendungen, in: Brandstätter, Windgätter, Zeichen der Kraft (s. Anm. 21), S. 228-246. Sigmund Freud, Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908), in: Gesammelte Werke Bd. VII, Frankfurt a. M. 1999, S. 141-167. Ders., Entwurf einer Psychologie (1895), in: ebd., Nachtragsband, 373-486.)) Konzepte wie die ‚Trauerarbeit’ etc. sind nach energetischen Vorstellungen konzipiert. In Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität fasst Freud die Sublimierung sexueller Energien in kulturelle Ziele entsprechend den Umwandlungsprozessen der Energie. Analog zur Figur der Entropie hebt Freud hervor, dass die Libido aus psychoanalytischer Sicht nicht restlos sublimierbar sei. „Ins Unendliche fortsetzen lässt sich „dieser Verschiebungsprozeß aber sicherlich nicht, so wenig wie die Umsetzung der Wärme in mechanische Arbeit bei unseren Maschinen“ ins Unbegrenzte fortzusetzen sei.((Sigmund Freud, Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität, in: Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturkritische Schriften, Frankfurt a.M. 1997, S. 109-132, hier S. 117.)) Nach 1906 benutze Freud andere Bildquellen, wie z.B. Mythentheorien.\\
 Um Übertragung von Energien zwischen den Menschen in Situationen kollektiver Interaktion geht es um 1900 schließlich auch im Rahmen der entstehenden Massenpsychologie (von Gabriel Tarde über Theodor Geiger und Gustave le Bon bis Elias Canetti). Die Theorie der geschichtsmächtigen Masse hängt um 1900 eng mit dem Energiebegriff zusammen.((Vgl. Michael Gamper: Masse als Kraft. Energetische Konzepte des Sozialen, in: Gronau, Szenarien der Energie, S. 28. Joseph Vogl, Masse und Kraft, in: Brandstätter, Windgätter, Zeichen der Kraft (s. Anm. 4), S. 187-197.)) Auffällig ist der Vergleich impulsiver Massenaktionen mit thermodynamischen Vorgängen sowie die Kategorie der ‚Auslösung‘ (und katalytischen Wirkung), die Robert Mayer erstmals in Reflexion des Energieerhaltungssatzes als Prinzip der Natur erörterte.((Robert Julius Mayer, Über Auslösung, in: Bes. Beilage d. Staatsanzeigers für Würteberg (1876), Nr. 7, S. 104-107.)) Um Übertragung von Energien zwischen den Menschen in Situationen kollektiver Interaktion geht es um 1900 schließlich auch im Rahmen der entstehenden Massenpsychologie (von Gabriel Tarde über Theodor Geiger und Gustave le Bon bis Elias Canetti). Die Theorie der geschichtsmächtigen Masse hängt um 1900 eng mit dem Energiebegriff zusammen.((Vgl. Michael Gamper: Masse als Kraft. Energetische Konzepte des Sozialen, in: Gronau, Szenarien der Energie, S. 28. Joseph Vogl, Masse und Kraft, in: Brandstätter, Windgätter, Zeichen der Kraft (s. Anm. 4), S. 187-197.)) Auffällig ist der Vergleich impulsiver Massenaktionen mit thermodynamischen Vorgängen sowie die Kategorie der ‚Auslösung‘ (und katalytischen Wirkung), die Robert Mayer erstmals in Reflexion des Energieerhaltungssatzes als Prinzip der Natur erörterte.((Robert Julius Mayer, Über Auslösung, in: Bes. Beilage d. Staatsanzeigers für Würteberg (1876), Nr. 7, S. 104-107.))
 Eine radikale, zugleich hochumstrittene Ausweitung des Energiebegriffs wurde durch den Chemiker und Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald und Georg Ferdinand Helm vorgenommen.((Wilhelm Ostwald: Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft (= Philosophisch-soziologische Bücherei, XVI), Leipzig 1909.)) Ihre als Energetik bezeichnete Lehre sieht die Energie und das Energieerhaltungsprinzip als Grundlage der gesamten Naturwissenschaft an. Auch Stoffe sind nur eine besondere Form der primären Energie. Helm, Mathematiker und Professor sowie Rektor an der Technischen Hochschule Dresden, vertrat die von ihm begründete ‚Energetik‘ besonders offensiv und öffentlichkeitswirksam. Ostwald und Helm forderten (unter anderem gegen Boltzmann) einen weltanschaulichen Monismus, der den wissenschaftlichen Materialismus mit seiner mechanischen Vorstellung (Teilchen und Bewegung) überwinde. Alle Bereiche des menschlichen und kulturellen Lebens sollten auf ihre energetischen Grundlagen hin untersucht werden. Anknüpfend an den belgischen Chemiker und Soziologen Ernest Solvay (Questins d’énergetique sociale, 1884-1910) verstanden Ostwald und Helm die Energetik auch als wichtigen Beitrag zur Beschreibung und Gestaltung der Gesellschaft. Dem zweiten Hauptsatz stellt Ostwald die „Leitlinie der Kulturentwicklung“ entgegen. Unter Einbeziehung der Pädagogik oder Kunst wird eine kulturelle Umwandlung niedriger, d.h. physischer Energien in höhere, d.h. geistige und psychische Formen postuliert. Im Bereich der Ökonomie postulierte Helm, dass Geld das ökonomische Äquivalent niedriger Entropie sei.((Georg Helm, Lehre von der Energie, Leipzig 1887.)) In diesen Debatten, die sich mitunter wie ein frühes, technikoptimistisches ökologisches Manifest, lesen, wurden Schlagwörter wie Energieeinsparung und Energieverschwendung geprägt.\\ Eine radikale, zugleich hochumstrittene Ausweitung des Energiebegriffs wurde durch den Chemiker und Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald und Georg Ferdinand Helm vorgenommen.((Wilhelm Ostwald: Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft (= Philosophisch-soziologische Bücherei, XVI), Leipzig 1909.)) Ihre als Energetik bezeichnete Lehre sieht die Energie und das Energieerhaltungsprinzip als Grundlage der gesamten Naturwissenschaft an. Auch Stoffe sind nur eine besondere Form der primären Energie. Helm, Mathematiker und Professor sowie Rektor an der Technischen Hochschule Dresden, vertrat die von ihm begründete ‚Energetik‘ besonders offensiv und öffentlichkeitswirksam. Ostwald und Helm forderten (unter anderem gegen Boltzmann) einen weltanschaulichen Monismus, der den wissenschaftlichen Materialismus mit seiner mechanischen Vorstellung (Teilchen und Bewegung) überwinde. Alle Bereiche des menschlichen und kulturellen Lebens sollten auf ihre energetischen Grundlagen hin untersucht werden. Anknüpfend an den belgischen Chemiker und Soziologen Ernest Solvay (Questins d’énergetique sociale, 1884-1910) verstanden Ostwald und Helm die Energetik auch als wichtigen Beitrag zur Beschreibung und Gestaltung der Gesellschaft. Dem zweiten Hauptsatz stellt Ostwald die „Leitlinie der Kulturentwicklung“ entgegen. Unter Einbeziehung der Pädagogik oder Kunst wird eine kulturelle Umwandlung niedriger, d.h. physischer Energien in höhere, d.h. geistige und psychische Formen postuliert. Im Bereich der Ökonomie postulierte Helm, dass Geld das ökonomische Äquivalent niedriger Entropie sei.((Georg Helm, Lehre von der Energie, Leipzig 1887.)) In diesen Debatten, die sich mitunter wie ein frühes, technikoptimistisches ökologisches Manifest, lesen, wurden Schlagwörter wie Energieeinsparung und Energieverschwendung geprägt.\\
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begriffe/energie.1511009516.txt.gz · Zuletzt geändert: 2017/11/18 13:51 von claus