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begriffe:milieu

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Milieu

Auch: Milieu interieur


lat. medius frz. milieu
engl. milieu Gegenbegriffe
Wortfeld Atmosphäre, Klima, Umfeld, Umwelt

Disziplinäre Begriffe

  • Allgemein: Eine spezifische Zusammensetzung von Arten in einem bestimmten Raum.
  • Chemie: Spezifische Stoffumgebungen, in der sich andere Stoffe befinden und/oder Reaktionen ablaufen.
  • Soziologie: die sozialen Bedingungen in einem bestimmten Raum, sowie deren Wirkung auf Individuen. Auch: Metaphorisch und meist pejorativ: Milieu als Begriff für Rotlichgewerbe und -bezirke.
  • Kunst: Zille-Milieu: Heinrich Zille, der das Leben von Berliner Proletarierschichten zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieb.

Material

A. Primärmaterial

17. Jh.„Im Anschluß an ‚aer ambiens’ und ‚Locus ambiens’ bildet sich im 17. Jahrhundert die Vorstellung von Raum, Äther oder Luft als eines ‚Mediums’, eines umgebenden und leitenden Elements. Medium seinerseits entwickelt sich von den Bedeutungen ‚Mitte’ und ‚Ort, wo man sich befindet’ zu ‚Umgebung’ und ‚Milieu’. Aus der Sprache der Physik dringt ‚ambient medium’, ‚milieu ambiant’ in die der Biologie und weiter in die Sprache der Soziologie, wobei Balzac und Taine eine große Rolle gespielt haben. Die Vorstellung eines nur Umgebenden wird zunehmend verwandelt und verfestigt zu der eines Bedingenden und Beeinflussenden. Und damit ist die Erklärung einer sozialen oder gar individuellen Erscheinung aus ihrer Umgebung, ihrem Milieu, ihrer Umwelt möglich, was mit Beispielen aus mehreren europäischen Sprachen reich dokumentiert wird.“ „'Milieu' wandelt sich in der Veränderung des physikalischen Weltbildes vom bloß umgebenden Raum, Äther oder der Luft zur bedingenden und wesentlich beeinflussenden Umgebung oder Umwelt, wie sie zunächst die Biologie und dann die Soziologie konzipierte. Dabei werden bloß räumliche Beziehungen überlagert von qualitativen wie Teil und Ganzem oder kausalen wie Ursache und Wirkung.“ (Günther, Horst 1979: Freiheit, Herrschaft und Geschichte. Semantik der historisch-politischen Welt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1979., S. 14).

Vgl. Hierzu:

  • Canghuilhem Georges: Le vivant et son milieu (1946/1947) In: Ders.: La connaissance de la vie. Paris, 1965. (Paris, 2003). S. 129 - 197.

B. Sekundärmaterial

Begriffsgeschichtliche Arbeiten

  • Feldhoff, J.: (Art.) Milieu, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 5, Basel/Stuttgart (1980) Sp. 1393 - 1395.
Inhalt: Die Begriffsgeschichte von Milieu bezieht sich zunächst auf das Französische, wo der Begriff sowohl zeitlich als auch räumlich, sowie abstrakt genutzt wird. Pascal bezeichnet bspw. die menschliche Existenz als 'un milieu entre rien et tout'. Im 17. und 18. Jhd. tritt der moderne Milieubegriff auf (z.B. in der Übersetzung des Mediums bei Newton als Milieu). Milieu meint damit 'das Element, das einen Körper umgibt', wobei dies v.a. stofflich gedacht ist. In der Biologie des 19. Jhd. wird diese Bedeutung auf existenznotwendige Lebensumstände für einen Organismus übertragen. Diese Bedeutung des Begriffes wird später in der Ethnologie und Ökologie übernommen. Cl. Bernard spricht in Bezug auf die Physiologie und die Wechselbeziehung zwischen Lebewesen und ihrem Milieu von einem 'Milieu extérieur' und einem 'Milieu intérieur' des Organismus. Beide Milieus verselbstständigen sich mit dem höheren Organisationsgrad der Lebewesen und sind dadurch in ihrer natürlichen Harmonie gefährdet. In dieser Form wird der Begriff in die frühen Sozialwissenschaften (Comte) und in die Literatur (Balzac/ Zola) übernommen. Bei H. Taine wird das Milieu zu einem determinierenden exogenen prägenden Faktor, der den kulturellen Zustand eines Volkes bestimmt (zusammen mit 'race' und 'moment'). Durkheim erhebt Milieu zu einem Zentralbegriff der Soziologie. Nietzsche lehnt den Milieubegriff ab. M. Scheler bringt die erste fundierte Kritik des Determinismus und Anthropomorphismus der Deszendenztheorien, welche Veränderungen in der Organisation der Lebewesen als Anpassung an eine universelle und rein äußerliche Umwelt betrachten. Der Milieubegriff wird daraufhin stark subjektiviert. Er bezeichnet nicht mehr allein exogene Faktoren, sondern eine Wechselwirkung zwischen individuellen und exogenen Faktoren. In einigen Fachwissenschaften weicht der Milieubegriff klarer umrissenen Begriffen (z.B. in der Biologie dem Begriff 'Umwelt'; in der Soziologie dem 'Feld'). Jüngster Literaturhinweis 1966.

Siehe auch:

  • Chien, Jui-Pi: Umwelt, Milieu(x), and Environment. A Survey of Cross-Cultural Concept Mutations, in: Semiotica 167 (2007), S. 65–89.
  • Müller, G. H.: (Art.) Gravitation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg.v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 11, Basel/Stuttgart, 2001, Sp. 99 - 105.
  • Röttges, H: (Art.) Mitte, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg.v. J. Ritter u. K. Gründer. Bd. 5, Basel/Stuttgart, 1980, Sp. 1421 - 1424.

Sonstige Literatur

  • d’Hombres, Emmanuel: La Régulation du “Milieu Intérieur”. Ètude sur le devenir Physiologique de la Terminologie de la Régulation (XVIIIe-XIXe Siècles). Archives Internationales d’Histoire des Sciences. 56 (2006) S.43-79.
  • Holmes, Frederic L.: Claude Bernard and the milieu intérieur. Archives Internationales d’Histoire des Sciences 16 (1963) S. 369-376.
  • Spitzer, Leo. Milieu and Ambiance: An Essay in Historical Semantics. Philosophy and Phenomenological Research 3/1, 1942, S. 1-42. Vorschau; Vgl. auch: 3/2 (1943) S. 169–218. Vorschau
  • Tsouyopoulos, Nelly: Schellings Konstruktion des Organismus und das innere Milieu. In: Philosophie der Subjektivität. Zur Bestimmung des neuzeitlichen Philosophierens. Akten des 1. Kongresses der internationalen Schelling-Gesellschaft 1989. 2 Bd. hg. von H.M. Baumgartner und W.G. Jacobs. Stuttgart 1993. S. 591-600.
  • Wink, Michael u. Claus R. Bartram: Vererbung und Milieu. Berlin, 2001. (Heidelberger Jahrbücher, 45.2001)

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begriffe/milieu.1375087681.txt.gz · Zuletzt geändert: 2015/12/15 14:34 (Externe Bearbeitung)